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Haus aus Erde

Haus aus Erde

Titel: Haus aus Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woody Guthriie
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die Wand und zog an ihrer Hand, bis sie sich neben ihn legte. Sie lauschte auf die Worte, die aus dem Lautsprecher kamen. Tike legte eine Hand um ihre Taille, mit der anderen befühlte, massierte, liebkoste er das Baby in ihrem Bauch. Es zuckte, es zappelte, es flatterte, es stieß mit Ellbogen, Armen und Knien um sich wie eine Wildkatze, die unter einer Kiste hervorwill. Die Bewegungen des Babys machten Tike so viel Angst, wie er sie in seinem ganzen Leben noch nicht empfunden hatte. Eine solche Angst, wie er nie geglaubt hatte, sie empfinden zu können. Ein schreckliches Gefühl des Verlorenseins, ein Grauen, ein Elend, das überwältigende Gefühl, hilflos, unwissend und betrogen zu sein. Schon jetzt kämpfte das Ding in ihr vierundzwanzig Stunden am Tag um ihre Aufmerksamkeit, schon jetzt schlug es nach ihr, focht mit ihr, stieß mit den Fäusten nach ihr, trat mit den Füßen nach ihr, um mehr und mehr von ihrer Liebe und ihrer Aufmerksamkeit abzubekommen. Schon jetzt. Dabei war es nicht einmal ein lebendiges Menschenwesen. Noch kein Name. Noch keine Papiere mit Fotos und Fingerabdrücken. Es hatte noch keine Reihe gerodet und noch keine Furche gepflügt. Es hatte noch keine Ackerkrume geeggt, noch keinen Finger gerührt, um die Saat mit Erde zu bedecken. Es hatte noch nie auf einem Traktor gesessen. Es hatte noch nie einen Eimer Milch oder Wasser geschleppt oder irgendwas am Haus garbeitet. Es hatte gar nichts getan. Nichts. Keinen nützlichen Handschlag. Und schon jetzt war es seiner Zeit voraus, seiner eigenen Zeit weit voraus, schon jetzt hieb es um sich, schlug zu, trat, knuffte und warf sich hin und her, nur um jedermanns Aufmerksamkeit zu erregen, nur deshalb, damit jedermann rannte, sich ängstigte, stolperte und stürzte, sich schneller bewegte, hierhin sauste und dorthin sauste, umherschlitterte, nur um Schmerzen zuzufügen, Schläge auszuteilen, Schwierigkeiten zu bereiten und für mehr graue Haare zu sorgen. All das fand in ihrem Bauch statt. Um Himmels willen, was in aller Welt würde der neue Fremdling wollen, um wie viel mehr würde er brüllen und kratzen und kämpfen, wenn er erst einmal seinen Kopf rausstreckte?
    Tike hatte Angst, weiter darüber nachzudenken. Um auf andere Gedanken zu kommen, schüttelte er heftig den Kopf. Gott. Herr. Jesus. Kleine Präriehunde und Taranteln. Herrgott und all ihr wirrköpfigen Heiligen. O Christus o Jesus o Herr o Allmächtiger o! Etliche Male schüttelte er so den Kopf. Die Sprungfedern machten einen solchen Lärm, dass Ella May schließlich sagte: »Still. Da redet jemand. Hör zu. Das is irgend n wichtiger Regierungsmensch. Zieh mein Kleid wieder runter.«
    »Wollt nur mal fühlen. Das Bürschchen springt ja«, flüsterte Tike, um nicht zu übertönen, was der wichtige Regierungsmensch zu sagen hatte. »Spring. Du kleines Äffchen, du. Ha ha ha.«
    »Tike. Bitte. Sei still. Ich höre zu. Der Mann da is n Mann von der Regierung.«
    »Ach ja?«
    »Ja. Hör zu.«
    Die Stimme des Mannes klang gebildet, nach Papier- und Bleistiftrascheln. Es war eine recht dröhnende Stimme, eine Stimme, die jeden Tag Stunden um Stunden geübt und geprobt hatte, um tief und mächtig zu klingen, damit sie irgendwo in ihren Ohren ein kleines Plätzchen fand, wo sie ihre Saat pflanzen und Wurzeln schlagen konnte. Der Klang eines netten alten Jungen. Der Klang eines echten alten Kumpels. Der Klang einer »rechten Hand«, ein geschwisterlicher Klang. Ein weicher, sanfter, glatter, flüssiger Klang im Strom, im Tanz, im Flechtwerk der Worte. Tike lächelte leicht spöttisch und flüsterte: »Klingt er nicht nett?« Ella May stieß ihn mit dem Ellbogen an und konzentrierte sich wieder.
    Und die Stimme sprach:
    »Und dies, dies scheint mir rundheraus die einzige Antwort auf unsere Probleme zu sein.«
    Tike kräuselte die Lippen und wiegte bedächtig den Kopf, als wollte er sagen: »Ach, stimmt das?«
    »In Anbetracht des Weltmarkts haben wir viel zu viele Schweine! Viel zu viele Schafe! Viel zu viele Rinder! Viel zu viel Baumwolle. Viel zu viel Mais. Und viel zu viel Getreide aller Art. Unsere Speicher fließen über, und wir haben zu viel Weizen!«
    Das Baby in Ella Mays Bauch bewegte sich. Sie schob die Unterlippe vor und spottete: »Viel zu viel.«
    »Es ist ein klares und einfaches Problem mit einer klaren und einfachen Antwort. Unsere modernen Maschinen, unsere modernen Fabriken und unsere modernen Arbeitssysteme haben von allem mehr produziert, als wir gebrauchen können. Für

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