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Haus aus Erde

Haus aus Erde

Titel: Haus aus Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woody Guthriie
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zum ersten Mal begegnet war. Ja. Auf einer harten, unbefestigten Straße hatte er ein ungesatteltes schnelles wildes Pony geritten, seinen Hut geschwenkt und so gellend geschrien, dass ihr Pferdegespann laut wiehernd durchgegangen war. Sie sah ihn, wie er Mähdrescher und Mähbinder lenkte und einen mit Lumpen umhüllten Krug Wasser zur Arbeit trug. Sie sah ihn, wie er Traktor- und Automotoren auseinandernahm und wieder zusammenbaute. Sie sah ihn, wie er lachte und im Hof mit dem Hund ihres Vaters spielte, wie er ihrem Alten ein Schnippchen schlug und sie durch die Hintertür entschlüpfen ließ. Sie sah ihn auf den Klippen und in den Schluchten des Caprock. Mit ausdruckslosem Blick saß sie da und sah Tike Hamlin so ziemlich alles tun, was ein Mann tun konnte.
    Sie schob ihren Kopf in eine andere Position und faltete die Hände über seiner Stirn, und sie seufzte, brummelte müde und sagte: »Tike.«
    »Mmm?« Er rauchte weiter.
    »Siehst du mich, wo immer du hinschaust?«
    »Was? Oh. Ich denke schon. Wieso fragst du? Ja. Ich denke schon. Ich schätze, das tu ich. Hmm. So hab ich noch nie drüber nachgedacht, aber jetzt, wo du’s erwähnst, denke ich, ja. Warum?«
    »Ach, weiß nich. Hab mich nur zurückgelehnt, meine Schmerzen und mein Elend genossen und so vor mich hingedacht.«
    »Ha.«
    »Nur so gedacht, dass ich dich schon immer so gesehen hab.«
    »Ha.«
    »Schon immer. Und ich weiß nich recht, warum. Ich seh dich, wenn ich übers Land schau. Ich seh dich, wenn ich übern Hof schau. Ich seh dich, wenn ich durchs Zimmer schau. Und ich schätze, die Experten, die sich mit so was auskennen, würden sagen: Nun ja, das liegt daran, dass sie ihn liebt. Und ich schätze, so isses. Ich schätze, das is der Grund. Aber ich sitze einfach so da und denke vor mich hin.«
    »Ja.«
    »Überlege.«
    »Mmm-hmm.«
    »Versuche rauszufinden, rauszufinden, rauszufinden, rauszufinden, versuche, auch nur einen einzigen klimperkleinen Grund rauszufinden, warum ich dich so lieben muss.«
    »Ha. Ja. Jetzt haste mich aber reingelegt, Lady.« Nervös presste er so fest die Hände zusammen, dass sie seine Knöchel und Knorpel knacken hörte. »Ich selbst hab noch nie rausfinden können, warum. Hör mal. Hör mal.« Er hielt den Kopf ans Radio. Aus einem unerfindlichen Grund war der Sprecher verstummt, und einige Minuten lang konnten sie die Klänge einer Kapelle hören. Wegen der schwachen Batterien war die Musik so leise, dass sie die Ohren spitzen mussten, aber die Töne waren deutlich zu hören. Es waren die Hörner, Saxophone und heißen Posaunen einer St Louis-Tanzkapelle, die einen träumerischen, bluesigen Louisiana-Ragtime spielte. Der gleitende Ton der Posaune und das Geschmetter der näselnden kleinen Trompete klangen jazzig, hippelig, feurig, und Tike sah, wie Menschen in aller Welt die Hüften schwenkten und sich die Bäuche rieben.
    »Hotch chh chh chh. Hot choochy, choochy. Shew. Shew. Shoo. Shoo. Wowww. Whow. Whow. Whow. Whow.« Ella May wiegte den Kopf und hob ihren Schuhabsatz unter Tikes Rücken. Er lehnte sich an sie an, um jede Bewegung zu spüren, den ihr Körper im Takt zur Musik machte.
    Dann verklang die Musik. Und er sagte: »Junge, Junge, Lady, du warst in der richtigen Kirche, in der richtigen Reihe, auf der richtigen Bank, dann hat’s dich bis nach Georgia geweht, stimmt’s?« Auf dem Boden sitzend, schmiegte er seine Schultern an ihre Knie.
    »Sch. Da spricht jemand. Mal sehen, ob wir hören, was er so von sich gibt.« Sie klopfte ihm auf den Kopf.
    Und die nächsten paar Minuten saßen sie steif und still, denn die Stimme des Mannes wurde fast ganz von Hintergrundrauschen übertönt. Die wilden Elemente, die Strahlen und Magnetismen, die uneingefangenen und ungesehenen, die unsichtbaren Mächte der Plains krallten, bissen und kauten an seinen Worten genauso wie die beiden, die dasaßen und die Ohren spitzten. Und einige seiner Worte wurden vom Wetter zerpeitscht, andere von Tike und Ella May zu trockenem Sand zerrieben.
    »Psst.«
    »Ja. Psst. Sei still.«
    »Komm mir nich mit psst. Sei selber still.«
    Tike stand auf, bürstete sich die Tabakkrumen von der Hose und pustete mit einem pfeifenden Geräusch an seinem Hemd herab. Er spürte, wie Ella den kleinen Finger seiner linken Hand nahm, und die Wärme ließ ihn wieder die bittere Kälte der Nacht ums Haus herum spüren. Ihre Hand war feucht und warm. Er presste sein Ohr an den Lautsprecher. Dann setzte er sich geräuschlos aufs Bett, lehnte sich gegen

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