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Haus aus Erde

Haus aus Erde

Titel: Haus aus Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woody Guthriie
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Stielen und Stängeln und Blättern mit Wurzeln, so hart wie ihre Fingernägel. Ohne den geringsten Zweifel bewegten sich diese Bilder des Staunens und der Sorge auch hinter den geschlossenen Lidern des kleinen neuen Mannes der Upper Plains, der unter dem Gewicht von Tikes Hand strampelte. Das war ihr Gefühl. Es war ein komisches, nicht sehr klares Gefühl, es war verschwommen und diffus, als sie versuchte, es sich vorzustellen.
    »Weißt du«, setzte Ella May an, »eigentlich hab ich keine Angst, dass dieser Vorschlag, die Tiere zu keulen und das ganze Land brachliegen zu lassen, tatsächlich mein Ende bedeutet, ich hab das Gefühl, ich werd’s überleben. Ich liege einfach nur da und versuche zu überlegen.«
    »Was zu überlegen?«
    »Ich versuche zu überlegen, was ich dem kleinen Tunichtgut in mir erzählen soll, wenn er – er oder sie oder was immer – mich fragt, wie wir auf diesen Trick jemals reinfallen konnten.«
    Wie beide gehofft hatten, kam Blanche tatsächlich zur Tür herein und brachte einen kalten Windstoß mit. Der rasche Temperaturwechsel im Zimmer ließ die Tapete an den Wänden brüchig werden. Staub- und Schmutzwirbel tanzten auf dem Fußboden wie Windhosen. Blanche war ein großes Mädchen, vollleibig, vollbusig und mehrere Jahre jünger als Tike und Ella May, und obwohl großknochiger und großgliedriger, war sie doch schneller, wendiger, lebhafter als sie. Dass sie so lebhaft war, lag an ihrer Rastlosigkeit, denn sie liebte es, Tag und Nacht auf Trab zu sein und immer etwas zu tun. Wenn Ella May oder Tike müde wurden und sich setzen mussten, machte Blanche weiter und kümmerte sich um alles, worauf ihr Blick fiel. Und gewöhnlich fiel ihr Blick auf vielerlei im Haus, das erledigt werden musste. Die Eiseskälte der vergangenen paar Tage hatte sie von den Arbeiten, die sie gefunden, ersonnen und erdacht hatte, um sich im Freien beschäftigen zu können, ins Haus getrieben, und so steckte sie all ihren Dampf und all ihre Kraft in den Haushalt. Wenn sie das Zimmer ein-, zweihundert Mal mit Augen und Fingern durchkämmt hatte und es nichts mehr zu tun gab, wurde sie ganz niedergeschlagen, trübsinnig, schwermütig und traurig. Ihre weiße Haut, ihr blondes Haar, ihre blassblauen Augen und ihre vollen Lippen bewegten sich wie die Schatten auf den Klippen des Caprock. Als sie den Jutesack an seinen Platz stellte und das Gewicht ihrer Schultern gegen die Tür stemmte, um sie gegen den Wind zu schließen, setzten Tike und Ella May sich im Bett auf und begrüßten sie.
    »Huhu!« Tike hob die Arme über den Kopf und schlug über dem Bett die Füße aneinander. »Huhu! Allmächtiger Gott und alle kleinen Baumwollschwanzkaninchen, Blanche! Gott! Wie ich mich freue, dich zu sehen! Ich freu mich mehr als jeder Mann, der je ne Frau gesehen hat! Puh! Komm rein! Reinspaziert! Vorsicht! Sonst weht’s dir noch die Kleider hoch!«
    »Tiiike«, schimpfte Ella May in sein Ohr. »Ärgere das arme Mädchen nicht. Halt den Mund.« Und als sie sah, wie rot Blanches Gesicht dort war, wo Hut und Mantel es nicht bedeckten, lächelte sie. »Meine Güte. Du bist ja richtig erfroren, Mädchen. Komm. Ich helf dir, den Mantel auszuziehen.«
    Inzwischen war Blanche wieder so bei Atem, dass sie auf Ella May zeigen und sagen konnte: »Nein nein nein nein nein nein. Sie bleiben hübsch, wo Sie sind. Meine Sachen zieh ich selber aus.«
    »Ich helf dir.« Tike sprang vom Bett. »Hab immer meine helle Freude dran gehabt, einer Dame beim Ausziehen zu helfen.« Seine Augen leuchteten wie Signallampen, wie die Scheinwerfer eines schnellen Autos, die das nächtliche Dunkel der Plains durchbohren.
    »Tiikke.« Ella May senkte den Blick und sah ihn an. »Beleidige die Dame nicht. Du wirst sie noch vertreiben.«
    »Nee. Fast jede Frau, die ich je gesehen hab, hat n Heidenspaß dran gehabt, sich vor mir auszuziehen. Stimmt’s, Blanche?« Er warf ihren Mantel über die Lehne des Rohrstuhls, nahm ihre Wollmütze und stopfte sie in die Manteltasche. Blanche sah weg, dann wandte sie sich wieder zu ihm um, entschlossen, sich von ihm nicht ausstechen zu lassen. Von dem beißenden Wind draußen waren ihre Wangen so rot, dass Tike nicht erkennen konnte, wie viel davon Schamröte war. Nachdem sie ihr Haarnetz abgenommen hatte, schwenkte sie den Kopf hin und her und ließ ihre Haare fliegen, um die Kälte loszuwerden. Sie schüttelte Schultern und Arme und rieb sich den Hals. Ihr Blick schoss direkt in Tikes Augen. Und sie sagte zu ihm:

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