Haus aus Erde
Lichtern. Für einen Moment schmerzten seine Handgelenke, und seine Finger brannten. Er sehnte sich danach, die Fäuste zu ballen und das Haus zu zertrümmern, die Füße zu heben und den ganzen Kram in die Nacht hinauszuschleudern. Er wusste, er konnte es. Keine Bohle, keine Diele im Haus hätte einem kräftigen Stoß mit der Schulter standgehalten, die meisten hätte er mit der bloßen Faust durchschlagen können. Er dachte bei sich: »Ich werd’s tun. Ich werd’s tun. Ich werd seinen Kadaver über die Upper Plains verstreuen! Diese erbärmliche Hütte kann meine Frau und mein Baby nich für immer in Fesseln halten.«
Ella lehnte ihren Kopf an die Ornamente des schmiedeeisernen Betthaupts. Sie hörte, wie das Haus bebte, die Tapete noch rissiger wurde, der Staub herabrieselte und immer weiter herabrieselte. Sie lächelte. Sie spürte Tikes sehnlichen Wunsch, das Haus zum Einsturz zu bringen. Sie blieb sitzen, lehnte den Kopf zurück und lächelte, aber irgendwo in ihrem Gesicht war eine leere Stelle, ein leerer Fleck. Tike sah es, und genau das weckte sein rasendes Verlangen, die Augen zu schließen und die Fäuste zu ballen, wild um sich zu dreschen, das Haus in Stücke zu schlagen und die Trümmer anzuzünden. Aber er tanzte immer noch. Er wirbelte. Er hüpfte. Er wedelte mit den Armen, er fächelte mit ihnen an den Seiten, er brüllte, er schrie und stieß, die Hand auf dem Mund, ein Indianergeheul aus. Nicht, dass er tanzen wollte, nicht, dass er es genoss oder Spaß daran hatte; vielmehr konnte er nur so den letzten leisen Anflug eines Lächelns auf Ellas Gesicht erhalten. Und es schien, als könnte er, nachdem er einmal damit angefangen hatte, gar nicht mehr aufhören. Er schrie sich heiser, bis seine Kleidung schweißgetränkt war. Er verfluchte die Engel, die Teufel, die Geister, die Heiligen, Ebbe und Flut, die Jahreszeiten und alles andere über und unter der Erde, aber nur im Flüsterton. Er rief seine schlonschsäumeligen Wörter: »Ulagie, dulie, mula katollie, hobitie hotin, hobitie hotin!« Dann wedelte er vor dem Radiolautsprecher mit den Fingern und sagte: »Nun spiel schon! Spiel! Spiel!«
Ella starrte auf den Lautsprecher.
»Spiel!«
Sie starrte weiter.
»Spiel!«
»Spppiiieel!«, half sie ihm vom Bett aus.
Tike ließ sich müde zu Boden fallen und umfasste ihre Beine. Er legte seinen Kopf in ihren Schoß und hechelte wie ein erschöpfter Hund nach einer wilden Verfolgungsjagd. Seine Kleidung war schweißnass. Mit seiner schwieligen Hand rieb er sich die feuchte Wange. Er war so außer Atem, dass er kaum noch sprechen konnte, stieß aber noch einmal hervor: »Spiieel!«
Ella Mays Stimme klang dünn und weit weg. »Spiel.«
Aus dem Lautsprecher kam ein Summen, ein verwischtes Kratzen und Krächzen, ein Rauschen und Jaulen, ein Klicken und Klacken, mehrere hohe und tiefe Piepstöne, ein fernes Rumpeln, Schluchzen und Seufzen und dann ein schreckliches Rasseln. Das war die einzige Antwort des Lautsprechers auf Tikes Reden, Tanzen und Schwitzen.
»Ich schätze«, sagte er zwischen keuchenden Atemzügen, »ich schätze, ich schätze mal, dass die Batterien alle sind.«
Mit den Fingerspitzen berührte sie sein Haar, seine Wange und sein Kinn und fragte: »Hat dir denn Old Grandpa Hamlin keine schlonschsäumeligen Wörter beigebracht, wie man Batterien auflädt?«
»Doch, hat er.« Er schüttelte den Kopf in ihrem Schoß und zog die Beine an. »n paar hat er mir beigebracht. Funktioniert immer.«
»Warum stehst du dann nicht auf und sagst sie und tanzt sie und brüllst sie und kreischst sie und lädtst die alten Batterien wieder auf?«, fragte sie.
»Na ja. Um dir die Wahrheit zu sagen« – er keuchte, als er nachdachte – »ah, die schlonschsäumeligen Wörter und die Tänze, die’s braucht, um die alten leeren Batterien wieder aufzuladen, ah, äh, das is ziemlich vertrackt. Ahhh, ich glaub, ich glaub, n bisschen leichter isses, die Batterien in die Stadt zu bringen, dann kann der Typ sie an sein Gerät anschließen.«
Nach mehreren Minuten Stille im Zimmer sagte Ella: »Weißt du, es war wirklich nett von Blanche, die letzten paar Tage über bei mir zu bleiben.«
Tike hatte sich eine Zigarette gedreht. Dabei waren ihm Tabakkrumen in die Falten seiner Hose gefallen. Die Zigarette im Mundwinkel, lehnte er seinen Kopf an ihr Knie und schaute ins Zimmer. Sie konnte den sauren Schweiß an seiner Khakihose und seinem blauen Hemd riechen. Der Geruch vermischte sich mit dem Rauch, den
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