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Haus aus Erde

Haus aus Erde

Titel: Haus aus Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woody Guthriie
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Verrückte.«
    Als der Schmerz in ihrem Körper zunahm, legte Ella May die Hand auf die linke Brust. Sie spürte den kleinen Knoten über der Brust, der vor einem Jahr an dem Tag entstanden war, als Tike sie mit dem Ellbogen verletzt hatte. Als ihre Muskeln sich verkrampften und die Schmerzen schlimmer wurden, beugte sie sich über Blanches Schoß. Die Haut unter ihrer Hand war so heiß, dass ihr Kleid durchgeschwitzt war und ihre Handfläche feucht wurde. Sie hatte Blanche nichts davon gesagt. Sie hatte Tike nichts davon gesagt. Jeden Tag hatte sie den Knoten deutlicher gespürt. Sie spürte die kleine Verhärtung, nicht größer als das Radiergummi an einem Bleistift, dicht unter der Haut, etwa drei Zentimeter oberhalb der Wölbung ihrer Brust. Zu sich selbst, aber niemals laut sagte sie: »Jeder hat genug eigne Schmerzen, da muss ich nich noch welche dazutun.« An anderen Tagen, wenn sie überzeugt war, dass jemand etwas bemerkt hatte, wollte sie mit der Sprache herausrücken und nachschauen, ob es vielleicht eine schwere Prellung war. Aber dann sagte sie sich wieder: »Ach, es ist ja nur ein kleiner Knoten, ein so klitzekleines Knötchen, dass ich weiß, das bleibt nicht lange. Ich hab schon zehn Mal schlimmere Stöße abgekriegt, und jedes Mal ist die Prellung weggegangen.« Doch in letzter Zeit schien das Ding sie stärker zu schmerzen, weil das Baby in ihrem Bauch an ihren Rippen- und Schultermuskeln zerrte. Und neuerdings hatte sie viel größere Angst, weil sie immer mehr daran denken musste. Weshalb sie nicht zusammenbrach und mit den anderen darüber redete, war mehr, als sie sich erklären konnte.
    Nur eine kleine Prellung. Ein so kleiner Knoten. Nicht größer als ein Knubbel auf einem Stück Holz. Nicht größer als die Zitze einer Sau. Nicht größer, nicht viel größer als der Kopf einer Stricknadel, nicht viel größer als eine kleine Erbse, nicht halb so groß wie der Kopf auf einem Dime. Dieser Knoten. Dieses winzige kleine Knötchen. Warum hatte sie nicht darüber gesprochen? Warum?
    Sie wusste es nicht. Aber es würde besser werden. Wenn erst mal das Baby kommt und nicht mehr auf meinen Bauch drückt, dachte sie, dann lassen die Muskelschmerzen nach und verschwinden. Mir tun ja auch die Waden weh, die Füße und die Knöchel und die Hüften und die Leisten und die Augen und die Schultern und der Rücken. Das kommt, weil das Baby überall an mir zerrt. Wenn ich mich aufrichte, ist es nicht ganz so schlimm, aber die ganze Zeit aufrecht zu sitzen, das schaffe ich nicht. Ein so kleiner Knoten. Der kleine Knoten ist nicht so groß wie ich. Ich werde ihn lecken und ihm die Leviten lesen, ihm eine tüchtige Tracht Prügel verabreichen und ihn zum Verschwinden bringen.
    »Hau ab, Knoten. Hau ab, hau ab. Geh woanders hin, zu jemand wie dem alten Grundbesitzer Woodridge.« Nachts im Bett, den ganzen Tag bei der Arbeit, wenn sie sich bückte, wenn sie schleppte, wenn sie ging, sagte sie sich tausend solcher Dinge vor.
    Und so sah Ella May das Zimmer und das Lampenlicht vor sich schwanken, als Blanche ihr erzählte, dass Woodridge nur den einen Morgen Land in der Nähe des Caprock verkaufen wolle. Sie sah ihr Leben und ihre Welt und ihre Leute durcheinanderwirbeln, und in ihrem Gehirn war ein solches Schäumen und Planschen, dass sie ihre Gedanken nicht in den Griff bekam.
    Blanche konnte Ella Mays Gesicht nicht sehen, als sie sich über sie beugte, und das Klappern und Scheppern von Tikes Hantieren, das Summen und Brummen der Milchzentrifuge war lauter denn je geworden. Sie legte Ella May die Hand unter den gekrümmten Rücken, um ihn abzustützen.
    »Haben Sie Schmerzen, Miss Hamlin?«, fragte Blanche dicht an ihrem Ohr.
    Ella schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr die Haare in langen Strähnen über die Augen fielen. Sie weinte und schniefte, doch weder Tike noch Blanche konnten sie hören.
    »Schmerzen?«, wiederholte Blanche. Ella Mays Haar roch kräftig, seifig, sauber. Blanche hielt sie an den Armen und sprach lauter: »Wenn Sie Schmerzen haben, Miss Hamlin, müssen Sie’s mir sagen!«
    Statt zu antworten, biss Ella May sich fest auf die Unterlippe, bis diese blau und schwarz wurde. Ihre Stirn, ihr ganzes Gesicht legte sich in Falten, wie kleine geriffelte Dünen, die hereinrieselten und sich auf dem Linoleum ablagerten. Sie warf Kopf und Schultern hin und her, und Blanche hörte ihre Schluchzer, doch erst als ihr Blick auf Ellas Hand fiel, die sich in die Steppdecke krampfte, begriff sie das

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