Haus der Angst
Stirn. Vor einem Jahr hatte er Darren Mowery niedergeschossen und war der festen Überzeugung gewesen, ihn getötet zu haben. Es war wirklich unvorsichtig von ihm gewesen, dass er sich nicht vergewissert hatte, ob Mowery wirklich nicht mehr lebte. In einem Geschäft wie dem seinen war ein solcher Fehler unverzeihlich. Dafür gab es keine Entschuldigung. Es spielte keine Rolle, dass Darren einmal sein Lehrer gewesen war oder sein Freund, oder dass Sebastian mit eigenen Augen gesehen hatte, wie er sich selbst ins Verderben hineingeritten hatte. Wenn man gezwungen war, jemanden zu erschießen, musste man sich auch vergewissern, ob man ihn getötet hatte. Das war ein ehernes Gesetz.
Aber hier ging es um Jack Swift. Nicht um Lucy. Plato würde sich um Darren Mowery kümmern müssen. Da Sebastian persönlich betroffen war, würde er die Sache nur vermasseln.
„Sagen Sie Plato, dass ich mich zurückgezogen habe“, meinte Sebastian.
„Zurückgezogen?“
„Ja. Er weiß Bescheid. Sie brauchen ihn nur noch mal daran zu erinnern.“
Charger rührte sich nicht vom Fleck.
Sebastian stellt sich Lucy auf der Veranda vor dem Haus seiner Großmutter vor. Fast konnte er die Sommerbrise von Vermont spüren, den Fluss hören, das kühle Wasser riechen, das feuchte Moos. Es war gut, dass Lucy Washington verlassen hatte, und er hatte dafür gesorgt. Er hatte sein Versprechen also gehalten. Seinem Freund Colin war er nichts mehr schuldig.
Er beschloss, nicht länger über Lucy nachzudenken. Das hatte ihm sowieso nie gut getan.
„Sie haben Ihre Nachricht übermittelt, Mr. Charger“, sagte Sebastian. „Jetzt überbringen Sie meine.“
„Jawohl, Sir.“
Der Mann machte sich auf den Weg. Sebastian vermutete, dass er Jim Chargers Erwartungen nicht erfüllt hatte. Aber das war ihm egal. Er erfüllte ja nicht einmal mehr seine eigenen. Warum sich Gedanken machen über das, was andere von ihm erwarteten?
Er hatte aufgehört zu arbeiten, und damit war die Sache für ihn erledigt.
Barbara Allen suchte nach dem Schlüssel für ihr Washingtoner Apartment. Sie hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Ihre Bluse war schweißnass. Ihre Haut juckte und brannte von unzähligen Moskitostichen. Ihr war gleichzeitig zum Weinen und zum Lachen zu Mute. Es war nicht zu glauben! Endlich hatte sie etwas unternommen. Endlich!
Sie drehte den Schlüssel im Schloss und stieß die Tür auf. Die stickige Luft, die ihr entgegenschlug, nahm ihr fast den Atem. Ehe sie nach Vermont aufgebrochen war, hatte sie die Klimaanlage abgestellt. Dort war es kühler gewesen als in Washington und wunderbar erfrischend. Schnell schloss sie die Tür und lehnte sich dagegen. Sie holte tief Luft. Endlich daheim.
Sie spürte keine Reue. Überhaupt nicht. Und das überraschte sie mehr als alles andere. Ihr Verstand sagte ihr, dass sie etwas Unrechtes getan hatte. Die Besessenheit, mit der sie Lucy verfolgte, war vielleicht sogar ein wenig krankhaft. Normale Menschen spionierten anderen Menschen nicht nach. Normale Menschen verfolgten und terrorisierten andere Menschen nicht.
Aber wenn es jemanden gab, der es verdiente, in Angst und Schrecken versetzt zu werden, dann war es Lucy Blacker Swift. Als Mutter war sie das Schlimmste, was man sich nur vorstellen konnte. Sie war nachlässig, unbeherrscht und rücksichtslos. Colin hatte zwar die schlimmsten Auswüchse verhindert. Aber nach seinem Tod gab es keinen mehr, der ihr die Zügel anlegte.
Seit mehr als einem Jahr bereitete es Barbara ein heimliches Vergnügen, Freitagabend nach Vermont zu fahren, um Lucy zu nachzuspionieren, und sonntags nach Washington zurückzukehren. Sie war das Auge und das Ohr von Jack Swift, seine Vertraute, seine engste persönliche Assistentin. Ihm hatte sie zwanzig Jahre ihres Lebens geopfert, jede Niederlage mit ihm ertragen. Sie hatte ihn bei den Achterbahnfahrten in seiner politischen Karriere begleitet, den Attentatsversuch miterlebt, das lange, langsame und schmerzvolle Sterben seiner Frau und den plötzlichen Tod seines Sohnes gemeinsam mit ihm durchlitten.
Und dann hatte Lucy sich ärgerlicherweise entschieden, nach Vermont zu ziehen. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Barbara wusste, wie sehr Jack es bekümmerte, auf welche Art und Weise sie die Kinder seines Sohnes großzog. Madison, die sich nach dem richtigen Leben sehnte. J. T., der mit seinen kleinen schmutzigen Freunden herumtobte. Aber Jack hätte nie etwas gesagt, niemals etwas unternommen, um Lucy zur
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