Haus der Angst
mich nicht daran?“
„Weil du noch nicht auf der Welt warst.“
„Madison erinnert sich auch nicht daran“, griff Lucy ein. „Das alles geschah, ehe euer Daddy und ich geheiratet haben.“
„Aber ich habe die Zeitungsartikel gelesen“, wies Madison ihre Mutter zurecht.
J. T. trat gegen die Rückenlehne ihres Sitzes. Sie hatten einen Wagen gemietet, als sie am Tag zuvor in Jackson angekommen waren. Heute Morgen hatte sich Lucy wie geplant mit den Reiseführern aus dem Westen getroffen, die wirklich sehr nett waren, ihr jedoch rundheraus zu verstehen gegeben hatten, dass sie mit ihren Abenteuerreisen im Westen nichts verloren habe. Das hatte sie nicht sonderlich überrascht.
Danach hatte sie mit sich gerungen, ob sie tatsächlich zu Sebastians Firma fahren sollte. Der Hotelangestellte hatte ihr eine genaue Wegbeschreibung gegeben. Es war immer noch Zeit genug, umzudrehen und zurück nach Jackson zu fahren.
„War es ein Mordversuch?“ fragte J. T. „Erzähl.“
Madison war schockiert. „Mama, woher kennt er Wörter wie ‚Mordversuch‘? Die haben im Wortschatz eines Zwölfjährigen nichts zu suchen.“
Ein verächtliches Schnaufen kam vom Rücksitz. „Ach, wirklich? Und wie soll ich dann Bescheid wissen über Abraham Lincoln und Martin Luther King? Oder Präsident Kennedy und Julius Cäsar?“
„Julius Cäsar?“ Madison wandte sich zu ihm um. „Was weißt du denn schon von Julius Cäsar?“
„Man hat ihm in den Rücken gestochen.“
„Du bist krank.“
„Nein,
du
bist krank.“
Lucy packte das Steuerrad fester. Vor ihr lag eine weite, gerade Straße, und sie versuchte, die atemberaubende Landschaft von Wyoming zu genießen. Die Berge, die das lange enge Tal säumten, waren unglaublich. Sie machte Madison und J. T. auf die unterschiedlichen Pflanzen aufmerksam, sprach von der Höhenlage und der trockenen Luft. Aber sie wollten lieber über Sebastian Redwing reden und wie er das Leben ihres Vaters gerettet hatte.
Lucy gab nach und erzählte die Geschichte. „Der Präsident hielt eine Rede in Newport, Rhode Island. Plötzlich zog jemand eine Pistole und begann zu schießen. Sebastian warf Daddy und Großvater auf den Boden, während der Mann, für den er damals arbeitete, den Schützen überwältigte.“
„Wurde jemand verletzt?“ wollte J. T. wissen.
„Sebastian erwischte einen zweiten Schützen, der dem ersten geholfen hatte, in den Saal zu kommen. Sebastian, dein Daddy und ein anderer Mann, Plato Rabedeneira, ein ausgezeichneter Fallschirmrettungsspringer, haben ihn verfolgt. Der Mann schoss Plato in die Schulter, aber es war nichts Gefährliches.“
„Was ist denn mit dem Schützen passiert?“
Lucy zögerte. „Sebastian hat ihn getötet.“
„Sebastian hatte ein Gewehr? Warum?“ Nun war J. T. von der Geschichte völlig gefangen genommen. „Was hatte er denn da überhaupt getan?“
Wie sollte sie Sebastian Redwing erklären? Alles, was J. T. über ihn wusste, war, dass er ihnen sein Haus verkauft hatte. Lucy nahm den Fuß vom Gaspedal. „Sebastian war Sicherheitsberater. Er war sehr jung. Er und sein Boss, Darren Mowery, waren wegen einer anderen Sache hinter dem Schützen her. Sie hatten nicht damit gerechnet, in ein Attentat auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten verwickelt zu werden.“
„Daddy, Plato und Sebastian sind dann Freunde geworden“, ergänzte Madison. „Sebastian war Trauzeuge bei Mamas und Daddys Hochzeit.“
J. T. war total verwirrt. „Ich kapier es nicht.“
Seine Schwester stöhnte. „Was gibt’s denn da zu kapieren?“
„Sebastian hat jetzt sein eigenes Unternehmen, J. T.“, erklärte Lucy. „Die Firma Redwing. Die hat ihren Sitz hier in Wyoming. Er und Plato und Daddy konnten sich nicht so oft sehen, wie sie es gerne getan hätten.“
Das schien ihren Sohn zufrieden zu stellen.
„Sebastian war wenigstens vernünftig genug, aus Vermont zu verschwinden“, sagte Madison.
Sie fuhren auf eine Gruppe von Holzhäusern in der blühenden Hügellandschaft zu. Nirgendwo wies ein Schild darauf hin, dass es sich um das Hauptbüro und das Trainingszentrum der Firma Redwing handelte, die sich auf Ermittlungen und Personenschutz in aller Welt spezialisiert hatte und deren Kunden Geschäftsführer, Regierungsbeamte, bekannte Unterhaltungskünstler und Sportgrößen waren. Viele kamen auch nach Wyoming, um selbst zu lernen, wie sie ihre Risiken einschätzen, vermeiden oder sich zur Wehr setzen konnten, gleichgültig, ob es sich um
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