Haus der Angst
sehr
physischer
Mann gewesen war.
Der gelbe Labradormischling trottete auf die Veranda und ließ sich mit einem Plumps unter die Hängematte fallen, der die ganze Hütte erbeben ließ.
„Sebastian?“
Der Mann schob den Hut aus dem Gesicht. Es war ebenfalls staubig und sonnenverbrannt, kantiger und durchfurchter, als sie es in Erinnerung hatte. Seine Augen hefteten sich auf sie. Sie hatten, wie alles an ihm, die Farbe von Staub. Ihr fiel ein, dass sie grau waren, ein ungewöhnliches, überraschend sanftes Grau. „Guten Tag, Lucy.“
Ihr Mund und ihre Lippen waren durch die lange Fahrt und die geringe Luftfeuchtigkeit ausgetrocknet. „Plato hat mich geschickt.“
„Das habe ich mir gedacht.“
„Ich habe geschäftlich in Wyoming zu tun. Die Kinder sind mit mir gekommen. Madison und J. T.“
Er sagte nichts und machte keine Anstalten, sich aus der Hängematte zu erheben.
„Mama! J. T. blutet!“
Voller Panik stürzte Madison aus dem Wagen und zog ihren Bruder von der Rückbank. Er hielt sich die Hand vor die Nase. Blut tropfte durch seine Finger.
„Oh, Mist“, sagte seine Schwester und trat einen Schritt zurück, während sie ihm eine Papierserviette zuwarf.
Lucy lief zu ihnen. „Leg den Kopf zurück.“
Der Schäferhund bellte J. T. an. Von seiner Hängematte aus gab Sebastian einen kaum hörbaren Befehl, und der Hund zog sich zurück.
J. T., der mit den Tränen kämpfte, stolperte auf die Veranda. „Ich habe das ganze Auto voll geblutet.“
Madison stand dicht hinter ihm. „Das stimmt, Mama.“
Sebastian tauchte neben Lucy auf. Sie hatte vergessen, wie groß und schlank er war, wie unbehaglich sie sich stets in seiner Gegenwart gefühlt hatte. Nicht verängstigt. Nur unbehaglich. Er schaute zu J. T. „Der Junge ist okay. Das liegt an der trockenen Luft und am Staub.“
Madison starrte ihn an. Lucy war mit ihrem blutenden Sohn beschäftigt. „Können wir dein Waschbecken benutzen?“
„Gibt’s hier nicht. Du kannst Wasser von der Pumpe hinterm Haus haben.“ Er musterte Madison. „Weißt du, wie man eine Pumpe bedient?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Dann wird es Zeit, dass du’s lernst.“ Er war ruhig, seine Stimme war leise, sogar beruhigend. „Lucy, bring J. T. hinein. Madison und ich kommen gleich.“
Sie schrak zurück. Ihre Augen wurden groß.
„Das ist schon in Ordnung, Madison“, beruhigte Lucy sie.
Sebastian runzelte die Stirn, als ob er sich nicht erklären konnte, warum er ein Grund zur Besorgnis war – ein staubiger Mann in einer einsamen Hütte mit drei Hunden und ohne fließendem Wasser. Er kam die Stufen hinunter. Madison holte tief Luft und folgte ihm. Dann drehte sie sich nach Lucy um und formte das Wort „Unabomber“ mit den Lippen.
Lucy brachte J. T. in die Hütte. Die Inneneinrichtung entsprach dem schlichten Äußeren. Es gab nicht nur kein fließendes Wasser, sondern auch keinen Strom. Man hatte das Gefühl, um ein Jahrhundert und in den Wilden Westen zurückversetzt zu sein.
„Es ist nur Nasenbluten“, sagte J. T und steckte sich die Papierserviette in die Nasenlöcher. „Mir geht’s gut.“
Lucy griff nach einem löchrigen Handtuch, das an einem Haken über einer hölzernen Arbeitsfläche hing. In einem Regal standen Haferflocken, Maismehl, Kaffee, Bohnen in Dosen, Gläser mit Salsasoße und – was gar nicht dazu passte – ein Krug mit echtem Ahornsirup aus Vermont.
Ein paar Minuten später kam Madison mit einem zerbeulten Aluminiumkrug voll Wasser durch die Hintertür. Lucy tauchte das Handtuch hinein. „Ich glaube, die Blutung hat aufgehört, J. T. Ich mach dich nur sauber, okay?“ Sie sah ihre Tochter an. „Wo ist Sebastian?“
„Draußen. Er zähmt Wildpferde oder jagt Büffel. Ich weiß es nicht.
Mama.
Er hat nicht einmal ein Badezimmer.“
„Es ist eben alles sehr rustikal hier.“
Madison stöhnte. „Clint Eastwood,
Erbarmungslos.
Ich hab’s dir ja gesagt.“
Sebastian betrat das Haus über die Veranda. „Wieso sieht sie Filme, die erst ab sechzehn sind? Sie ist doch noch gar nicht so alt.“
„Sie kann, wenn Eltern dabei sind oder die Erlaubnis gegeben haben.“ Lucy verkniff sich die Bemerkung, er solle sich, verdammt noch mal, um seinen eigenen Kram kümmern. Aber da er sie nicht gebeten hatte, zu ihm zu kommen, hielt sie lieber den Mund. „Madison hat Filmgeschichte in der Schule belegt. Wir haben
Erbarmungslos
zusammen angesehen, weil er so brutal ist.“
Er runzelte die Stirn. „Ich bin nicht brutal.“
Für
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