Haus der Angst
Er wäre vermutlich schlimmer als die FBI-Agenten. Er wäre vermutlich auch schlimmer als die verirrte Kugel, die durch ihr Esszimmerfenster geflogen war.
Warum zum Teufel war sie nur mit ihren Kindern nach Wyoming gekommen?
Der Weg war kurvenreich, trocken, heiß und staubig. Aber die Landschaft war großartig. Meilenweit erstreckte sich das Land, die Berge wuchsen aus dem Tal heraus, ein Fluss schlängelte sich vorbei, sie sah Pferde, Vieh und Wildblumen. Obwohl das Gelände inzwischen anders genutzt wurde, sah es immer noch wie Farmland aus.
J. T. war fasziniert, während Madison litt. „Ich tu so, als sei ich Meryl Streep in
Jenseits von Afrika“
, sagte sie. „Dann bleibe ich vielleicht wach.“
„Die Höhenluft macht dich wahrscheinlich müde“, sagte Lucy.
„Ich bin nicht müde, sondern gelangweilt.“
„Madison.“
Sie riss sich zusammen. „Tut mir Leid.“
Der Weg wurde noch schmaler. Der Wagen wirbelte so viel Staub hoch, dass Lucy sich vornahm, ihn durch eine Waschanlage zu fahren, ehe sie ihn zurückgab.
Schließlich gelangten sie zu einer winzigen, heruntergekommenen Holzhütte; einige kleinere Anbauten lagen im Schatten einer Gruppe von Zitterpappeln und Kiefern. Hier endete der Weg.
Lucy parkte hinter einem staubigen roten Truck. „Ich glaube, wir sind da“, meinte sie.
„Igitt“, sagte Madison mit einem Blick auf die armseligen Gebäude. „Das sieht ja aus wie in Clint Eastwoods
Erbarmungslos
.“
Von
Jenseits von Afrika
zu
Erbarmungslos.
Lucy lächelte. Madison hielt die Besitzer der örtlichen Videothek auf Trab, die alle möglichen Filme für sie besorgen mussten. Einer ihrer Lehrer an der Schule, die sie so verabscheute, hatte ihr Interesse für das Kino geweckt.
Drei große neugierige Hunde kamen aus dem Schatten und liefen um den Wagen herum. Sie bellten und knurrten, als hätten sie noch niemals einen Fremden gesehen. J. T., der sich abgeschnallt hatte, streckte nervös den Kopf nach vorne. „Glaubst du, dass sie beißen?“
„Bestimmt haben sie Flöhe“, meinte Madison.
Lucy behielt einen klaren Kopf. Sie ließ die Scheiben herunter, um zu sehen, wie die Hunde reagierten. Sie sprangen nicht hoch. Das war vermutlich ein gutes Zeichen. „Hallo!“ rief sie aus dem Fenster. „Ist jemand da?“
Sie suchte den Truck nach bösartigen, menschenfeindlichen Aufklebern wie „Vermonter, verschwindet!“ ab. Aber sie konnte nichts entdecken. Nur Rost.
Plötzlich verstummten die Hunde. Der gelbe Labradormischling gähnte und streckte sich. Der Schäferhundbastard ließ sich auf den Boden fallen und kratzte sich. Der Kleinste der drei – eine undefinierbare Mischung mit weißem Fell und braunen und schwarzen Flecken – lief keuchend auf und ab.
„Habt ihr jemanden die Hunde rufen hören?“ wollte Lucy wissen.
J. T. schüttelte den Kopf. Er hatte die Augen weit aufgerissen. Das war mehr Abenteuer, als er erwartet hatte hier draußen in der Wildnis von Wyoming – mit drei gefährlich knurrenden Hunden und weit und breit keinem freundlichen Wesen. „Nein. Du denn?“
Madison schmollte. „Plato hätte uns einen bewaffneten Beschützer mitgeben sollen.“
Lucy seufzte. „Madison, das nützt doch nichts.“
„Ich habe Angst“, sagte J. T.
„Ihr zwei bleibt hier drin, und ich schau mal nach, ob wir hier überhaupt richtig sind.“ Lucy löste ihren Sicherheitsgurt und stieg aus dem Wagen. Die Luft schien noch heißer und sogar trockener zu sein. Die Hunde beachteten sie nicht. Sie lächelte ihrem ängstlichen Sohn zu. „Siehst du, J. T.? Es ist alles in Ordnung.“
Er nickte zweifelnd.
„Entspann dich, Lucy.“ Die männliche Stimme schien aus dem Nichts zu kommen. „Du bist schon richtig hier.“
J. T. rutschte über die Rückbank und zeigte auf die Hütte. „Sieh mal! Da steht jemand auf der Veranda!“
Lucy warf ihren Kindern einen warnenden Blick zu. „Bleibt, wo ihr seid.“
Sie stieg die zwei flachen, knarrenden und schmutzverklebten Stufen zu der schäbigen Veranda empor. Eine alte verschlissene Hängematte hing an rostigen Haken. Darin lag ein staubbedeckter Mann, der einen ehemals weißen Cowboyhut über sein Gesicht gezogen hatte. Er trug Jeans, ein Baumwollhemd mit bis zu den Ellbogen hochgekrempelten Ärmeln und Cowboystiefel. Alles wirkte ungepflegt und abgetragen.
Lucy bemerkte die langen Beine, den flachen Bauch, die muskulösen gebräunten Arme und die schwieligen Hände. Sie erinnerte sich daran, dass Sebastian Redwing schon immer ein
Weitere Kostenlose Bücher