Haus der Angst
Aber wenn sie weiterhin in Washington gewohnt hätte, wären die Kinder in Colins Welt geblieben – in Jacks Welt –, und Lucy wusste, dass sie dann nicht hätte überleben können. Sie hatte einfach einen Schlussstrich ziehen müssen.
Sie nahm noch eine Hand voll Bohnen. Rob kam zu ihr auf die Veranda und ließ sich in einen Korbstuhl fallen. „Die Reise nach Neufundland ist jetzt ausgebucht. Willst du eine Warteliste aufmachen?“
„Das wäre sinnvoll.“
„Und J. T. hat mir gesagt, dass er nun doch bei dem Vater-Sohn-Ausflug mitmachen möchte.“
„Wirklich? Meinetwegen. Ich hoffe, er ändert seine Meinung nicht noch einmal.“
Während sie über das Geschäft redeten, schnitt Lucy die Bohnen und hing ihren Gedanken nach. Sie und ihre Kinder führten hier draußen wirklich ein schönes Leben. Darauf kam es schließlich an – und nicht darauf, ob Jack das gefiel, oder ob es Colin gefallen hätte.
Es war schon spät, als Sebastian den Süden des Bundesstaats Vermont erreichte. Er buchte ein Zimmer in einem sauberen, einfachen Motel, das an einer historischen Route außerhalb von Manchester lag. In gebührender Entfernung zu Lucy, aber auch nicht allzu weit weg von ihr.
Er hatte einen Umweg über Washington gemacht und Happy Ford unter die Lupe genommen, eine neue Mitarbeiterin, die Plato auf Mowery angesetzt hatte. Sie war Geheimdienstagentin gewesen und äußerst kompetent, aber nur Plato hätte jemanden engagiert, der Happy Ford hieß.
Sie berichtete ihm, dass Mowery am Morgen Senator Jack Swift in seinem Büro aufgesucht habe und danach spurlos verschwunden sei.
Sebastian warnte sie davor, Darren Mowery zu unterschätzen. „Gehen Sie davon aus, dass er alles, was Sie können, besser kann.“
„Glauben Sie, er weiß, dass ich hinter ihm her bin?“
„Darauf können Sie sich verlassen.“
Sebastian nahm seinen Becher Kaffee mit auf die kleine Veranda vor seinem Motelzimmer und setzte sich auf einen altmodischen, gelb angestrichenen Metallstuhl mit runden Armstützen und runder Lehne. Der Stuhl, der vor dem Zimmer nebenan stand, war lavendelfarben, die nächsten rosa und blau. Sehr geschmackvoll.
In seinem Zimmer lagen Prospekte über die Sehenswürdigkeiten in der Gegend – historische Häuser, überdachte Holzbrücken, Souvenirs aus dem Revolutionskrieg, Outlet-Center, Gasthöfe und Feriengebiete. Er überlegte, ob er nicht ein Schlauchboot mieten und den Battenkill hinunterpaddeln sollte. Das wäre sicherlich besser, als Lucy nachzuspionieren.
Er war nie ein typischer Tourist gewesen, der sich für Geschichte begeistern konnte. Er hatte sich auch nie für Vermont begeistern können. Gut, er war hier geboren und aufgewachsen, und seine Vorfahren waren hier begraben. Daisy hatte immer behauptet, einen Urahnen zu haben, der in der Schlacht von Bennington mitgekämpft hatte, jene Schlacht, die kurz hinter der Grenze zum Staat New York stattgefunden hatte. Daisy hatte der Gedanke gefallen, ihre Wurzeln in Vermont zu haben.
Sein Cowboy-Outfit hatte er in Wyoming zurückgelassen. Er war ein Außenseiter, auch dort, doch das war ihm ziemlich egal.
Die Abendluft war warm und ein wenig feucht, aber sehr angenehm. Auf den sanft geschwungenen Bergen wuchsen die Bäume dicht an dicht. Während er so da saß auf der Veranda mit dem Kaffeebecher in der Hand, hatte er plötzlich das Gefühl, die Berge würden näher kommen. Vielleicht waren es aber auch nur die Erinnerungen.
Den Rest seines Kaffees schüttete er ins Gras. „Lucy, Lucy.“
Er hatte viele Dummheiten in seinem Leben begangen. Sich bei der Hochzeit von Lucy Blacker in sie zu verlieben, war das Dümmste überhaupt. Dass er hierhergefahren war, kam vermutlich gleich auf Platz zwei. Eine Kugel auf ihrem Autositz. Das war doch Kinderkram. Und sie stammte ganz bestimmt nicht von Mowery.
Sebastian ging in die Abenddämmerung hinaus, die von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne erhellt wurde. Morgen wird es heiß werden, dachte er.
Seine Waffen hatte er abgegeben. Warum hätte er sie behalten sollen? Er ging nicht auf die Jagd und hatte nicht die Absicht, jemanden zu erschießen. Die Leute glaubten immer an einen Scherz, wenn er ihnen sagte, dass er nichts mehr mit Gewalttätigkeiten zu tun haben wollte. Dabei meinte er es wirklich ernst. Darren Mowery war sein letztes Opfer gewesen.
Ein Moskito landete auf seinem Arm. Er schnippte ihn fort. Wer brauchte schon ein Gewehr? Wenn er erst einmal herausgefunden hatte, wer Lucy
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