Haus der Angst
schließlich Sommer. Warte nur ab, bis die Blätter abfallen und das Schmuddelwetter wieder beginnt.“
„J. T. hat mir gesagt, dass ihr in Wyoming gewesen seid.“
„Ja, zwar nur kurz, aber es hat Spaß gemacht.“
„Hast du auch Sebastian Redwing besucht?“
Ein paar Sekunden lang schwieg Lucy. Wusste Jack von dem Versprechen, das sie Colin gegeben hatte? Glaubte er, dass ihr Besuch bei Sebastian bedeutete, dass sie in Schwierigkeiten steckte? Er klang nicht misstrauisch, das würde er sich jedoch auch nicht anmerken lassen. Jack Swift wusste seine Gefühle besser unter Kontrolle zu halten als die meisten anderen Menschen. „Ja“, antwortete sie schließlich vorsichtig. „Für die Kinder war es ein interessantes Erlebnis.“
„Ich nehme an, sie werden in diesem Sommer nicht zelten gehen.“
Sie waren auch im vergangenen Sommer nicht zelten gegangen. „Das brauchen sie doch gar nicht. Wenn du bedenkst, wo wir wohnen und was ich mache.“
Lucy bemühte sich, beiläufig zu klingen, nichts in seine Fragen hinein zu interpretieren und auch keine Kritik in ihnen zu sehen. Aber sie wusste, dass er Kritik übte. Ihr Schwiegervater würde sie niemals offen wegen ihrer Erziehungsmethoden rügen, doch ihr war klar, dass er der Ansicht war, ihnen fehle eine Menge. Gut, Madison und J. T. konnten Kajak und Kanu fahren, wandern, in einem eiskalten Fluss schwimmen, ihr eigenes Gemüse ziehen, auf Bäume klettern, angeln und sich in den Wäldern von Vermont zurechtfinden – aber sie lernten weder Segeln noch Golf oder Tennis. Ihre gelegentlichen Trainerstunden in der Sporthalle im Dorf zählten nicht in seinen Augen.
„Sie müssen ihr eigenes Leben führen, Lucy“, sagte er sanft.
Lucy war schockiert, zwang sich jedoch zu einem Lachen. „Das sagen sie mir auch jedes Mal, wenn ich darauf bestehe, dass sie ihr Zimmer aufräumen. ‚Mama, ich führe mein eigenes Leben‘.“
„Glaubst du, Colin hätte es gewollt, dass sie in Vermont aufwachsen? Bohnen pflücken, durch die Wälder rennen … Lucy, das Leben ist nicht einfach. Sie müssen darauf vorbereitet werden.“
„Colin ist nicht mehr bei mir, Jack, und was mich betrifft – ich bemühe mich, so gut ich kann.“
„Natürlich. Es tut mir Leid.“
Es tat ihm wirklich Leid, aber er hatte gesagt, was er dachte. Er hatte weder eine Frau noch einen Sohn, und jetzt hatte sie ihm auch noch seine Enkelkinder weggenommen und nach Vermont gebracht. Sie ließ ihnen nicht die Erziehung zuteil werden, die er und Eleanor Colin geboten hatten. Lucy verstand ihn, wünschte sich jedoch, er würde einfach sagen, dass er sie in Washington vermisste, anstatt durch die Blume anzudeuten, sie sei eine schlechte Mutter.
„Vergiss es, Jack. Hör mal, Madison und J. T. würden dich so gerne wiedersehen. Ist es nicht möglich, dass du während der Kongressferien im August mal zu uns raufkommst?“
„Das hoffe ich sehr.“
„Wir würden gerne für ein paar Tage nach Rhode Island fahren, wenn du auch kommen könntest. Und Madison freut sich schon so auf ihren Besuch in Washington im Herbst.“
Lucy blickte zu ihrer Tochter hinüber, die jedes Wort aufmerksam verfolgte. Wenn sie ihren Großvater dazu benutzen könnte, ihre Mutter zu überreden, sie für ein Schulhalbjahr nach Washington gehen zu lassen, würde Madison die Gelegenheit sofort beim Schopf ergreifen. Aber Lucy war davon überzeugt, dass er ihr nicht in den Rücken fallen würde, so sehr er auch Vermont verabscheute.
„Sie würde übrigens gerne länger als nur ein Wochenende bleiben“, sagte Lucy. „Möchtest du sie mal sprechen?“
„Ja, natürlich. Es war nett, mit dir zu plaudern, Lucy. Ach, und ehe ich’s vergesse – viele Grüße von Sidney Greenburg.“
Lucy schloss aus dieser Bemerkung, dass Sidney und Jack sich noch immer trafen. Sie hoffte, dass diese Beziehung ihn ein wenig von ihren eigenen Versäumnissen ablenkten und seine Einsamkeit vergessen ließ. „Danke. Sag ihr, dass ich Costa Rica in mein Programm aufnehme. Sie sollte die Erste sein, die diese Reise bucht.“
„Vielleicht fliegen wir gemeinsam“, antwortete Jack. „Übrigens, Lucy, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Du solltest dein Leben weiterführen wie bisher. Und das meine ich ernst.“
„Ist schon in Ordnung, Jack. Wir vermissen dich übrigens auch. Ich hoffe, wir sehen uns bald.“
Madison nahm das Telefon und ging ins Haus. Lucy erinnerte sich daran, dass Jack ihre beiden Kinder gern hatte. Und sie liebten ihn auch.
Weitere Kostenlose Bücher