Haus der Angst
Lucy.“
Sebastian Redwing hatte nun doch überlebt. Lucy hatte ihm geholfen, zu ihrem Haus zu kommen. Barbara hatte die beiden beobachtet, während sie sich im Wald versteckte – als ob sie eine Verrückte wäre.
Ob Madison ihrer Mutter – und Sebastian – etwas von ihrem Treffen am vergangenen Tag erzählen würde?
Aber das spielte keine Rolle. Niemand würde einen Zusammenhang zwischen dem Unfall bei den Wasserfällen und ihrer Anwesenheit in Vermont vermuten. Barbara holte ein paar Mal tief Luft, als sie sich in Erinnerung rief, dass nur sie allein wusste oder sich überhaupt vorstellen konnte, zu einer solchen Tat fähig zu sein. Für alle anderen war sie schließlich die kompetente, erfahrene langjährige persönliche Assistentin eines amerikanischen Senators.
Sie seufzte. Jetzt, da sie sich besser fühlte, wurde sie ruhiger. Sebastian Redwing war in Vermont, und vielleicht sollte sie es Darren erzählen. Aber sie würde es nicht tun.
Sebastian wachte mit bohrenden Kopfschmerzen auf. Er hörte, dass J. T. und sein Kumpel vor seinem Fenster
Star Wars
spielten. Er stöhnte, ohne sich zu bewegen oder auch nur die Augen zu öffnen. „Ich hasse Kinder.“
Die Jungs warfen mit Sachen um sich – er vermutete, dass es grüne Tomaten waren – und taten so, als wären es explodierende Bomben. Dazu machten sie die entsprechenden Geräusche. Sebastian erinnerte sich, dass er ähnliche Spiele mit den grünen Tomaten seiner Großmutter gemacht hatte.
„Jungs!“ rief Lucy, vermutlich von den Treppenstufen der hinteren Terrasse. „Das sind meine Tomaten!“
Es folgten aufgeregte Erklärungen. Das waren doch nur die knubbeligen Tomaten. Die, die von den Sträuchern gefallen waren. Es sei doch besser, die kleinen Tomaten abzupflücken, damit die großen noch größer und reifer werden konnten.
Lucy ließ sich nicht darauf ein. „Lasst die Finger von den Tomaten. Warum geht ihr nicht Brombeeren pflücken? Dann mache ich euch eine Fruchtpastete.“
„Was ist denn eine Fruchtpastete?“ wollte J. T. wissen. Offenbar machte seine Mutter die nicht allzu oft.
Sie drohte den beiden, sie in die Scheune zu sperren, wo sie die Post sortieren mussten.
Als Ruhe einkehrte, wurde ihm klar, dass die beiden Lucys Aufforderung gefolgt waren.
Vorsichtig stieg Sebastian aus dem Bett. Er hatte eine furchtbare Nacht hinter sich. Die Schmerzen. Die Peinlichkeit, ins Wasser gefallen zu sein. Nachdenken darüber, wie er Lucy geküsst hatte. Und dann die Erinnerungen. Diese vielen verdammten Erinnerungen. Der Schock, den er als Vierzehnjähriger erlebte, als seine Eltern plötzlich starben. Damals hatte er sich gewünscht, dieses Haus niemals wieder betreten zu müssen.
Er schwankte und griff nach einem Bettpfosten, um sich festzuhalten.
„Mom! Sebastian stirbt!“
Vor dem Fenster zum Garten hinter dem Haus tauchten die Gesichter der beiden Jungen auf. Diese kleinen Teufel spionierten ihm nach. Sebastian schlug mit der Hand gegen das Fliegengitter, als wollte er ein paar lästige Motten vertreiben. Die zwei zuckten zusammen und verschwanden sofort.
Lucy stieß die Tür auf. Das hätte sie nicht tun sollen. Er hielt sich am Bettpfosten fest und hatte nur seine Boxershorts an. „Oh“, sagte sie und blieb im Türrahmen stehen. „Ich dachte … J. T. hat gesagt …“
Er grinste. Es war zwar nicht nett, aber er hatte Lust, sie zu schockieren. „Sei froh, dass ich wenigstens noch meine Shorts anhabe. Die Kinder müssen mal lernen, wie man sich benimmt.“
„Sie wissen, wie man sich benimmt. Sie tun es nur nicht immer.“ In einer Hand hielt sie das schnurlose Telefon. „Ich hätte die Jalousien herunterlassen sollen.“
„Daran hätte ich auch selber denken können.“
„Geht’s dir gut?“
„Mit einer Kanne Kaffee und einer Schachtel Aspirin ging’s noch besser.“
Sie nickte und schloss die Tür hinter sich. Sebastian sank auf das Bett zurück. Heute war er nicht in der Lage, bösen Jungs hinterherzulaufen. Er hatte teuflische Schmerzen, und dementsprechend war seine Stimmung.
Er griff nach seiner Hose, die am Fußende des Bettes lag. Sofort merkte er, dass sie gewaschen worden war. Daneben lag sein Hemd, gebügelt und gefaltet. Lucy musste mindestens zwei Mal in seinem Zimmer gewesen sein – einmal, um seine Sachen zu holen, das zweite Mal, um sie frisch gewaschen zurückzubringen. Er hatte nichts davon mitbekommen. Das verbesserte seine Stimmung nicht gerade.
Er zog die Jeans an und ging ins Badezimmer.
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