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Haus der Angst

Haus der Angst

Titel: Haus der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Neggers
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Abgesehen von einem neuen Anstrich und Handtüchern in frischen, lebendigen Farben hatte sich seit Daisys Tagen nichts geändert. Beim Blick in den Spiegel wurde ihm klar, warum J. T. und sein Freund geglaubt hatte, dass er kurz davor war zu sterben, und warum sie weggelaufen waren, als er sie angeraunzt hatte. Seine obere Körperhälfte war übersät mit vertrocknetem Blut, großen Schürfwunden und Blutergüssen in allen möglichen Farbschattierungen.
    Außerdem musste er sich rasieren. Aber der einzige Rasierapparat im Bad war rosa. Er beschloss, erst einmal abzuwarten.
    Mit unsicheren Schritten ging er in die Küche, wo Lucy am Tisch vor ihrem Laptop saß. Sie trug Shorts und ein weißes Top – schlicht und sexy. Sie blickte kaum hoch, als er hereinkam. „Der Kaffee ist fertig.“
    „Danke.“ Langsam ging er zur Küchentheke hinüber. „Du hast meine Hose gestohlen – mitten in der Nacht.“
    „Es war erst neun. Du hast geschlafen wie ein Toter.“
    „Und was wäre gewesen, wenn böse Männer ins Haus gekommen wären?“
    „Ich kann die Polizei genauso gut anrufen wie du.“
    Sie bewahrte die Becher am selben Platz wie Daisy auf. Er nahm einen und goss sich Kaffee ein. „Ich hasse es, in Boxershorts hinter Gangstern herzulaufen. Ich habe meine Hose gern bei mir. Das ist eines meiner Prinzipien.“ Er lehnte sich gegen die Küchentheke. „Lucy Blacker, machst du dich etwa lustig über mich?“
    „Ich? Ganz und gar nicht.“ Sie gab ein paar Befehle in ihren Computer ein. „Aber da du ohnehin nichts mehr von Gewalt hältst, wärst du doch sowieso nicht hinter den Gangstern hergelaufen – selbst wenn du dazu in der Lage gewesen wärst.“
    Der Kaffee war heiß und stark und gab ihm das Gefühl, wieder ein Mensch zu sein. Er bemerkte Lucys nackte Arme und Beine und ihre geschmeidigen Muskeln. Sie war kräftig und gut in Form. Kein Wunder, dass sie ihn auf dem ganzen Weg von den Wasserfällen bis zum Haus hatte stützen können.
    „Das Beste, was man in einer gefährlichen Situation tun kann, ist versuchen, herauszukommen“, meinte er. „Eine Pistole kann dir ein trügerisches Gefühl von Sicherheit geben. Und dass ich keine Waffe mehr habe, bedeutet noch lange nicht, dass ich keine Gangster mehr fangen kann“, fügte er hinzu.
    Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Verzichtest du auf alle Gewalttätigkeiten oder nur aufs Töten?“
    „Ich trage keine Pistole bei mir. Ich besitze auch keine Waffen. Als ich noch welche hatte, habe ich sie nur benutzt, wenn ich merkte, dass Schießen der einzige Ausweg war.“ Er nahm noch einen Schluck Kaffee.
    „Hm“, sagte sie.
    „So ist das. Es ist nämlich ziemlich einfach, im Schießen die einzige Möglichkeit zu sehen, wenn man bis an die Zähne bewaffnet ist.“
    „Aber würdest du auch jemanden schlagen?“
    Er lächelte, doch da es ihm wehtat, verzog er schmerzhaft das Gesicht. „Du meinst, ob ich jemanden grün und blau prügeln würde?“
    Sie errötete. Er hätte nicht sagen können, ob sie sich ärgerte oder verlegen war. Wahrscheinlich war es Ärger. Er glaubte nicht, dass Lucy schnell verlegen wurde. Sie schaute ihn an. „Was hättest du denn getan, wenn du den erwischt hättest, der dich in den Wasserfall gestoßen hat?“
    „Vermutungen interessieren mich nicht.“ Er ließ sich auf einen Stuhl fallen, der ihr gegenüber stand. „Ich habe genug von Gewalt. Mehr ist dazu nicht zu sagen.“
    Sie nickte. „Ich verstehe.“
    „Nein, das tust du nicht, und das ist auch gut so. Kannst du mir sagen, wo ich etwas fürs Frühstück finde?“
    „Ich kann’s dir sogar machen.“
    „Du hast mich aus dem Wasser gezogen und meine Sachen gewaschen. Das reicht.“
    Sie erhob sich und öffnete den Kühlschrank. „Ich möchte nicht, dass du auf meinem Küchenboden zusammenbrichst. Wie wär’s mit einem Käseomelett?“
    „Genau das Richtige. Danke.“
    Kurz darauf duftete es in der Küche nach Eiern, Butter, Cheddar-Käse aus Vermont und Toast. Sebastian erinnerte sich an unzählige Sommermorgen, die er hier in der Küche seiner Großmutter erlebt hatte. Im vergangenen Jahr, in Wyoming, waren ihm die Bilder von seiner Kindheit in Vermont nicht aus dem Kopf gegangen, gleichgültig, ob er Glücksspiele machte, auf seinen Pferden ritt, mit den Hunden spazieren ging, in seiner Hängematte lag oder sonst seine Zeit verplemperte. Bilder, Erinnerungen, Gerüche, die Hoffnungen und Träume des in sich gekehrten Jungen, der er einmal gewesen war.

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