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Haus der bösen Lust (German Edition)

Haus der bösen Lust (German Edition)

Titel: Haus der bösen Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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Mrs. Butler all diese Bücherregale und Vitrinen mit Zeug aus dem Bürgerkrieg hat, gibt es etliche Nischen. Zwischen zwei Bücherregalen ist eine davon, die man kaum bemerkt ...«
    Collier erinnerte sich sofort. »Genau. Dort steht ein Schreibtisch mit aufwendigen Schnitzereien und kleinen Schubladen und Fächern.«
    Dominique nickte. »Außerdem ist an der Seite ein kleines Porträt von Penelope Gast, als hätte es jemand dort hingehängt, um es zu verstecken. Jedenfalls war ich gerade dabei, für die Desserts die Köpfe zu zählen – einige Gäste waren bereits gegangen, und ich wollte die richtige Anzahl servieren ... da sehe ich dort jemanden sitzen.«
    »An dem Schreibtisch?«
    »An dem Schreibtisch. Dieser Kerl kauert darüber und schreibt etwas. Ich hatte ihn davor noch nicht gesehen, deshalb dachte ich, er sei spät eingetroffen und hätte sich dort hingesetzt, um eine Hochzeitskarte auszufüllen. Ich gehe also rüber und frage ihn, ob er hausgemachtes Napoleon-Gebäck zum Nachtisch möchte.«
    »Ja?«
    »Er hört zu schreiben auf und schaut zu mir auf – und der Kerl ist echt hässlich. Blasses Gesicht, verkrampfte Hände, große, düstere Augen. Und irgendwas hat mit seiner Nase nicht gestimmt, sah aus, als hätte er Goldfolie drauf. Außerdem liegt da auf dem Tisch dieser groteske rote Hut. Er sieht mich also an, als wäre er sauer, weil ich ihn gestört habe, und sagt: ›Napoleon? Dem bin ich in Ägypten begegnet, und er war absolut erbärmlich.‹«
    »Wie bitte?«, fragte Collier ungläubig.
    Dominique zuckte mit den nackten, weißen Schultern. »Das hat der Kerl gesagt. Ich denke mir, er ist betrunken und will witzig sein. Dann frage ich ihn noch einmal, ob er ein Dessert will, und er verzieht das Gesicht und sagt: ›Sehen Sie nicht, dass ich beschäftigt bin? Ich muss mehr an Harding bezahlen. Vom Eisenbahnkonto. Mr. Gast hat gerade eine Bestellung für fünfzig weitere aufgegeben, die nach Maxon zu schicken sind. Die verschleißen sie dort unten im Nu.‹«
    »Verschleißen ...«, setzte Collier an.
    »Das hat er gesagt, ohne weitere Erklärung. Aber ich kümmerte mich nicht weiter darum. Immerhin war der Typ patzig zu mir gewesen, also ließ ich ihn allein, um meinen Leuten zu helfen, das Dessert zu servieren. Dann frage ich meine Betriebsassistentin, ob sie gesehen hat, wann der Mann hereinkam, und sie erwidert: ›Wer?‹ Ich zeige zu der Nische. ›Der Spinner dort am Schreibtisch‹, sage ich. Aber ...«
    »Als Sie wieder hinschauen, ist er weg«, vermutete Collier.
    »Genau. Verschwunden.«
    Damit hatte Collier gerechnet. »Das ist auf jeden Fall eine unheimliche Geschichte. Aber ... ist das alles?«
    Sie klopfte ihm spielerisch auf die Schulter. »Nein! Das ist erst der Anfang. Sehen Sie – ich sollte Ihnen den Rest nicht erzählen. Sie werden sich bloß lustig über mich machen.«
    »Jetzt erzählen Sie schon!«
    Sie bogen um eine dunkle Ecke in eine Nebenstraße, deren Geschäfte schon längst geschlossen hatten und in der es nur ein von Kerzenlicht erhelltes Bistro gab, wo einige Gäste an Tischen im Freien ihre Cocktails genossen. Dominiques weiße Kleidung und ihre helle Haut ließen sie in den düsteren Lichtverhältnissen gespenstisch erscheinen.
    »Der Empfang wird ein voller Erfolg, und der Brautvater zahlt die Rechnung mit einem üppigen Trinkgeld. Gegen Mitternacht sind die meisten Gäste gegangen, aber ein paar sind noch da und trinken. Meine Leute hatte ich heimgeschickt, nachdem sie alles aufgeräumt hatten, ich selbst war geblieben, um Getränke nachzuschenken und mir das Gerede der Betrunkenen in ihren Smokings anzuhören. Irgendwann schaue ich zum Fenster und sehe draußen jemanden vorbeigehen – zwei kleine Mädchen in weißen Kleidern.«
    Colliers Kehle fühlte sich schlagartig wie zugeschnürt an. »Hatten ... hatten sie einen Hund dabei?«
    Sie sah ihn komisch an. »Einen Hund? Nein, es waren nur zwei Mädchen. Aber dann stach mir etwas anderes ins Auge, oben im Treppenflur. Eine andere Gestalt . Wollen Sie raten, wer?«
    »Der Kerl vom Schreibtisch?«
    »Genau, und jetzt trägt er diesen idiotischen Hut. Ich sehe also, wie er den Flur entlanggeht. Ich bin überzeugt davon, dass ich ihn gesehen habe. Er hat sogar zu mir runtergeschaut und mir einen finsteren Blick zugeworfen. Bei den zwei Mädchen am Fenster könnte ich mich auch irren, aber bei ihm bin ich mir absolut sicher. Ich denke mir, er ist ein Gast, der in der Pension wohnt, vielleicht der Vater oder

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