Haus der Erinnerungen
Antworten finden, die ich suchte. Ich mußte es haben. Es war merkwürdig, daß mir so bang war, das fiel mir selbst auf, während ich mich blind die klamme Wand entlangschob, denn bisher hatte ja nichts, was geschehen war, mir in irgendeiner Weise geschadet. Die beiden Familienszenen im Wohnzimmer waren nur freundlich gewesen, und ich hatte mich keine Sekunde bedroht gefühlt. Weshalb also war mir jetzt, als ich mich der Tür /um Salon näherte, eiskalt vor Angst? Weshalb hatte ich tief im Inneren das Gefühl, daß ich lieber die Hände von diesen Nachforschungen lassen sollte? Es war, als wäre die Luft um mich herum von drohendem Unheil geschwängert, als wäre ich im Begriff, in einen Bezirk einzudringen, der weit entfernt war von John und Harriet und dem warmen, hellen Feuer im Wohnzimmer. Eine Ahnung befiel mich, daß alles Unglück, das sich in diesem Haus /.ugetragen hatte, in diesem Raum enthalten war und daß es töricht und vorwitzig von mir war, dort einzudringen, l )as Gefühl drohenden Unheils war mir vertraut.
Ich hatte es zwei Nächte zuvor empfunden, als ich plötzlich Victor an meinem Bett gesehen hatte. Auch da hatte es in der Luft gelegen, einer beängstigenden Aura gleich, die aus der Finsternis ausstrahlte, als lauerten in ihrer Schwärze die schlimmsten Dinge. Genau dieses Gefühl begleitete mich jetzt, als ich die Geborgenheit des Wohnzimmers hinter mir ließ und mich in die finstere Höhle des Flurs hinauswagte. Es war beinahe so, als warte etwas auf mich.
7
Ich ertastete die Tür zum Salon und blieb stehen. Als ich über die Schulter zurückblickte, sah ich, daß die Wohnzimmertür nur noch einen Spalt offenstand - hatte ich sie nicht ganz offen gelassen ? -und wie durch eine optische Täuschung weit entfernt schien. Eine ungewöhnliche Trockenheit lag mir in Mund und Kehle, und mein Rücken war schweißnaß.
Ich legte die Hand auf den eiskalten Türknauf. Das Herz schlug mir bis zum Hals, und die Angst lahmte mich fast, aber ich konnte nicht zurück. Ich mußte das Album finden.
Ich kann mich nicht erinnern, den Knopf gedreht, die Tür aufgestoßen zu haben, doch im nächsten Moment stand sie offen. Vor mir sah ich nichts als undurchdringliches Dunkel.
Es roch nach Staub und Verfall. Die Luft war muffig wie in einem feuchten Keller oder in einer Gruft, in der es nur Tod und ewiges Vergessen gab.
Ehe ich eintrat, warf ich noch einmal einen Blick zurück zum Wohnzimmer. Die Tür war jetzt ganz geschlossen. Kein Lichtschimmer drang nach außen. Das hätte mich eigentlich erschrecken müssen, denn ich hatte die Tür ja weit offen gelassen, aber ich hatte jetzt für nichts anderes mehr Sinn als das Album. Und mein Körper schien allen eigenen Willens beraubt. Dieselbe unsichtbare Macht, die mich trieb, das Album zu suchen, zog mich jetzt in den alten Salon.
Als ich plötzlich das Klappern meiner aufeinanderschlagenden Zähne hörte, erschrak ich. Aber dann erkannte ich den Ursprung des Geräuschs und tappte vorwärts, anstatt zurückzuweichen. Der Raum, in dem ich mich befand, hatte keine Ecken, keine Wände, keine Grenze. Er dehnte sich ins Unendliche, in die ewigen Regionen von Nacht und Nichts und Hoffnungslosigkeit. Was auch immer hier hauste, es war unglücklich.
Ohne zu überlegen, hob ich den Arm und streifte den Lichtschalter. Es kam mir vor wie ein Wunder, daß die Glühbirne an der Decke aufflammte. Ihr Licht zeigte mir einen seit vielen Jahren unbewohnten und vernachlässigten Raum. Weiße Laken lagen staubbedeckt über schweren Möbelstücken, von denen nur die Füße zu sehen waren. Der kahle Holzfußboden war zerkratzt, der Kamin mit Brettern vernagelt, die Vorhänge am Fenster waren brüchig. Zu meiner Linken stand unter dicken Staubschichten ein altmodisches Rollpult.
Ich näherte mich ihm vorsichtig, voller Sorge, daß meine Anwesenheit das Gleichgewicht des Raums stören könnte. Ich hatte das unheimliche Gefühl, beobachtet zu werden, obwohl das Fenster verhüllt war und keine Bilder an den Wänden hingen. Hirngespinste, sagte ich mir wieder einmal, umfaßte entschlossen die Kante des Rolldeckels und versuchte, ihn hochzuschieben. Es gelang mir nur mit großer Anstrengung und selbst dann nur teilweise. Der verborgene Mechanismus des Rolldeckels klapperte und ratterte laut, seine staubverklebten Leisten knarrten und quietschten unter meinen Händen. Auf halbem Weg klemmte er und war keinen Zentimeter weiter zu bewegen. Ich neigte mich hinunter, um unter den
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