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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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der Brief ein, den sie an dem Abend, als Mr. Cameron die Familienaufnahme gemacht hatte, heimlich in ihrer Rocktasche hatte verschwinden lassen. Hatte Harriet vielleicht einen heimlichen Freund, mit dem sie korrespondierte ?
    Ihr Verhalten gab mir die Antwort. Immer wieder sah sie auf die Uhr, viel zu oft blickte sie argwöhnisch über die Schulter, und sie schrieb mit einer Hast, die verriet, daß sie etwas Verbotenes tat und fürchtete, dabei ertappt zu werden. Ein heimlicher Liebhaber vielleicht, dachte ich...
    Köstliche Düfte wehten mir plötzlich in die Nase. Würziger Bratengeruch einer Ente, die am Spieß bruzzelte; das milchige Aroma von Reisbrei, der auf dem Ofen köchelte; Gerüche nach Fleischsoße, buttrigem Gemüse und frischem Brot. Ich blickte zur Küchentür hinüber. Großmutter und ich hatten nichts auf dem Herd stehen, wir waren längst fertig mit dem Essen. Es mußte also das Abendessen der Familie Townsend sein, das das Haus mit diesen appetitlichen Düften erfüllte. Es mußte Mrs. Townsend sein, die da nebenan in der Küche stand und das Abendessen bereitete. Und ich konnte die Gerüche wahrnehmen!
    Auch das ein Geheimnis. Wie war es möglich? Aber ebenso gut konnte ich fragen, wie war es möglich, daß ich sie sehen und hören konnte. Alle meine Sinne bis auf einen waren miteinbezogen in diese Begegnungen mit der Vergangenheit, und ich fragte mich, ob irgendwann der Moment kommen würde, da ich auch berühren und fühlen konnte...
    Aber jetzt wollte ich es nicht versuchen. Ich wollte Harriet nicht durch eine unbedachte Handlung vertreiben. Nein, ich würde ganz still auf meinem Platz sitzen bleiben, während sie ihren Brief schrieb.
    Ein neuer Gedanke kam mir. Mit Victor hatte ich in der vergangenen Nacht gesprochen. Ich hatte ihn zweimal angesprochen, und beim ersten Mal - beim ersten Mal war er nicht verschwunden. Er hatte einfach mit Jennifer weitergesprochen. Erst beim zweiten Mal, als ich aufgesprungen war und ihn berühren wollte, erst da hatte sich die Szene aufgelöst.
    Sollte es dann vielleicht möglich sein, mit ihnen Verbindung aufzunehmen? War es vielleicht einfach so, daß er mich nicht gehört hatte, weil er so stark auf Jennifer konzentriert gewesen war, als er sprach? Ich konnte es noch einmal versuchen. Ich würde mich nicht von der Stelle rühren. Ich würde nur sprechen. Ich würde ganz ruhig, beiläufig, unaufdringlich etwas zu Harriet sagen.
    Sie schrieb sehr eifrig. In der Stille des Zimmers waren nur das Knistern des Feuers und das Ticken der Uhr auf dem Kaminsims zu hören. Der Uhr von gestern. Vielleicht, vielleicht würde sie mich hören, wenn ich sie ansprach. Ich wünschte mir, daß sie mich hören würde.

    Ich war ein wenig enttäuscht, daß Victor nicht hier war, obwohl ich seine Anwesenheit gar nicht erwarten konnte, da er ja gesagt hatte, er werde nach Schottland gehen und niemals in dieses Haus zurückkehren. Hieß das, daß ich ihn nie wiedersehen würde? Ich bezweifelte es. Schon bald würde das Schicksal ihn wieder in dieses Haus zurückführen. Ich wußte, daß er zurückkommen würde, ich wußte nur nicht, wann.
    Sollte ich sie jetzt ansprechen ? Sollte ich es wagen ? Ich leckte mir die Lippen. Mein Mund war trocken. So sanft wie möglich sagte ich: »Harriet.« Sie sah nicht auf. Ich versuchte es ein wenig lauter. »Harriet.« Noch immer keine Reaktion. »Harriet, kannst du mich hören
    ?«
    Als sie endlich den Kopf hob, stockte mir der Atem, aber dann erkannte ich, daß es nur eine Bewegung der Nachdenklichkeit war. Sie überlegte sich bloß die nächsten Worte für ihren Brief.
    Meine Bemühungen waren vergeblich gewesen. Harriet würde mich niemals hören können. Verrückt, sich so etwas einzubilden.
    Dennoch versuchte ich es ein letztes Mal. »Harriet, bitte hör doch!«
    Rein zufällig blickte ich zu meiner Großmutter hinüber. Sie starrte mich mit aufgerissenen Augen an.
    Ich stieß einen Schrei aus und griff mir an den Hals. »Großmutter ! Hast du mich erschreckt!«
    »Mit wem hast du geredet?« fragte sie und sah mich dabei ganz merkwürdig an.
    Mein Blick schweifte zum anderen Sessel. Er war leer. Die Gasheizung stand wieder im Kamin. »Mit niemand, Großmutter. Ich dachte, du schläfst.«
    »Ich habe dich mit jemandem reden hören. Ich hab's gesehen. Du hast Harriet gesagt.«
    »Nein, Großmutter, ich hab nur...« Ich wußte nicht weiter und breitete hilflos die Hände aus. »Wahrscheinlich hab ich einfach laut gedacht.«
    Großmutter

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