Haus der Erinnerungen
Tür. Ich wollte wissen, wer da Klavier spielte. Ich fand den Lichtschalter und knipste ihn an.
Ich fuhr schreckhaft zusammen, als ich Harriet und Jennifer am Kamin stehen sah. Aber gleich wurde ich ruhig und wurde mir mit Verwunderung bewußt, daß diese ungebetenen Besuche aus der Vergangenheit mir keine Angst mehr machten. Nicht allzuviel Zeit schien in ihrer Epoche vergangen zu sein. Die beiden hatten sich kaum verändert. Ich schätzte sie auf ungefähr siebzehn Jahre, zwei offenkundig modebewußte junge Frauen. Sie trugen beide zu ihren schmalen langen Röcken hochgeschlossene weiße Blusen und kurze Jäckchen, deren Ärmel an den Schultern gekraust waren. Beide blickten sie gespannt zur Tür, an der ich immer noch stand.
Das Klavierspiel, fiel mir plötzlich auf, hatte aufgehört. Die beiden jungen Mädchen wirkten unruhig, über irgend etwas besorgt. Harriet sah immer wieder auf ihre Armbanduhr, während sie sich wiederholt aufgeregt die farblosen Lippen leckte. Sie war sehr zierlich, doch ihr Gesicht hatte mit dem Erwachsenwerden nicht an Reiz gewonnen. Die Augenbrauen waren ein wenig zu buschig, die untere Gesichtshälfte eine Spur zu breit, die Nase unverhältnismäßig klein. Und auch sie hatte die Townsend-Furche, die ihrem Gesicht weniger einen Zug der Eigenwilligkeit als der Schärfe verlieh. Neben Jennifer, deren Schönheit sich wie die einer Rose von Tag zu Tag mehr zu entfalten schien, wirkte Harriet Townsend wie eine graue Maus. Fast konnte sie einem leidtun. Ich konnte den Blick nicht von Jennifer wenden. Wie an jenem ersten Abend, als Großmutter mir ihr Foto gezeigt hatte, war ich fasziniert von diesem jungen Mädchen und betrachtete sie unverwandt mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid. Ich konnte sie nicht als geisterhafte Erscheinung aus der Vergangenheit begreifen, denn meine Sinne sagten mir, daß ich hier einem lebendigen Menschen gegenüberstand, einer Frau von ungemein intensiver Ausstrahlung. Ihre braunen Augen zeigten Erregung; ruhelos wie ein Schmetterling flog ihr Blick durch das Zimmer. Und ihre Hände waren keine Sekunde still.
Endlich, nach qualvoller Wartezeit, wandte sich Harriet ihrer Freundin zu und flüsterte: »Ich höre sie kommen.«
Die furchtsame Erregung der beiden jungen Frauen teilte sich mir mit. Mit klopfendem Herzen trat ich von der Tür weg und drückte mich an die Wand, als die beiden Männer eintraten. Draußen schien es zu regnen. John war naß und klopfte sich die Regentropfen von den Hosenbeinen, nachdem er eingetreten war. Er lief zum Feuer, hielt die Hände darüber und machte mit halblauter Stimme eine Bemerkung, die ich nicht verstand.
Meine Aufmerksamkeit galt aber auch weniger John als seinem Begleiter, Victor, der so nahe bei mir stand, daß ich die Feuchtigkeit seiner Kleider riechen und die Nässe seines Haars sehen konnte. Ich sah auf den ersten Blick, daß er völlig verändert war. Er schien um Jahre gealtert. Mit seinen fünf- oder sechsundzwanzig Jahren sah er aus wie ein Mann, der zuviel vom Leben gesehen hat, um noch für jugendliche Unbekümmertheit Raum zu haben. Fast alle Weichheit war aus seinen Zügen gewichen. Das glattrasierte Gesicht war kantig und angespannt, als berge es in sich ein grausames Geheimnis. Die Augen lagen tiefer in den Höhlen als früher, so als wollte er lieber nach innen sehen als nach außen, und sie schienen mir wie umschattet von der Erinnerung an das Elend und das Gift eines Londoner Krankenhauses. Das lockige schwarze Haar war länger, reichte ihm fast bis auf die Schultern, notdürftig gebürstet nur, als interessiere ihn äußere Wirkung nicht mehr. Er wirkte sehr streng und distanziert, wie er da stand, so reglos, daß er kaum zu atmen schien. Und ich fragte mich, was diese tiefgreifende Veränderung bewirkt hatte.
Er und Jennifer sahen einander an, und ich gewahrt in ihrem Blick die Bestürzung über seine Verwandlung.
Was hatte Victor in den Londoner Krankenhäusern gesehen ? Wie oft hatte ihn der eisige Hauch des Todes gestreift, hatte er schrecklichen Verlust erlebt, die bittere Enttäuschung ertragen müssen, daß er, dessen Aufgabe es war, Leben zu retten, am Ende nur ohnmächtig geschehen lassen mußte ? Victors Gesicht war gezeichnet. Sein Wissen und seine Reife, so ungewöhnlich für einen so jungen Menschen, zeigten sich im ernsten Schwung seiner Lippen, die das
Lächeln verlernt zu haben schienen. Sein Gesicht hatte etwas Schwermütiges, unter dem sich Bitterkeit verbarg. Victor
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