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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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nicht mehr zu. Eine zynische Stimme in meinem Kopf flüsterte, wenn wir das Wetter nicht hätten, kämen neunzig Prozent aller Gespräche nie in Gang.
    Nach einer Weile gab ich meinen Platz am Fenster auf und ging ziellos im Zimmer umher. Vielleicht hatte ich Weltschmerz, ich konnte es nicht sagen, da ich mich nie zuvor so gefühlt hatte wie an diesem Tag. Es war ein eigenartiger Zustand, eine Mischung aus Traurigkeit, Ängstlichkeit und Rastlosigkeit. Und daneben empfand ich eine schreckliche Leere.
    Vor dem Kaminsims blieb ich stehen und starrte die Uhr an. Das war es. Es war ein Mangel, unter dem ich litt. Es war, als wären alle Emotionen und Gefühle aus mir herausgesogen worden und hätten nichts als graue Trostlosigkeit hinterlassen. Ach, wäre ich nur deprimiert gewesen! Das wäre wenigstens ein Gefühl gewesen. Ich aber war nur leer.
    Wohin waren meine Gefühle verschwunden ? »Andrea!« schrie meine Großmutter schrill und packte mich am Arm. Ihre Finger gruben sich in mein Fleisch, und im nächsten Moment flog ich nach rückwärts und schlug krachend gegen das Büffet. Verwirrt starrte ich meine Großmutter an. »Andrea, du hättest dich beinahe in Brand gesteckt«, rief sie keuchend.
    Ich sah verblüfft an meinen Jeans hinunter. Die Hosenbeine waren angesengt.
    Großmutter humpelte zu mir, bückte sich mühsam und zog ein Hosenbein hoch. Die Haut meines Beins war brandrot.
    »Du hast dich verbrannt«, stieß sie atemlos hervor. »Wenn ich nicht zufällig gekommen wäre, wäre deine Hose in Flammen aufgegangen. Andrea, was ist denn nur los mit dir ?« Sie legte mir die zitternde Hand auf die Wange. »Hast du wieder Kopfschmerzen?«
    »Großmutter...« Ich wandte mich ab. Jetzt spürte ich den brennenden Schmerz an meinen Beinen, und es erschreckte mich. »Es ist meine Schuld. Ich habe das Gas zu hoch aufgedreht, und du hast es nicht gewußt. Die ganze Zeit stand es auf klein, und ich hab dir nicht gesagt, daß ich es aufgedreht hatte. Ach Gott...« Ich sah ihr ins Gesicht und beim Anblick ihrer vom Alter verwüsteten Züge hätte ich am liebsten geweint.

Warum konnten wir nicht so bleiben, wie wir in der Jugend waren, so wie John und Victor und Harriet und Jennifer, die immer noch jung und schön waren ? Warum mußten wir diese Unwürdigkeit des Alterns erleiden ?
    »Armes Kind«, tröstete meine Großmutter und wischte mir die Tränen ab. »Es geht dir gar nicht gut. Komm, reiben wir die Beine mit Butter ein..«
    Sie wollte mich zum Heizofen ziehen, aber ich ging nicht mit ihr.
    »Keine Angst, Kind. Ich hab ihn schon runtergedreht.«
    »Nein - mir ist warm genug. Ich setz mich hier aufs Sofa.« Ich setzte mich in die äußerste Ecke, so weit wie möglich vom Gas entfernt, und sah geistesabwesend zu, wie meine Großmutter meine verbrannten Beine mit ihrem alten Hausmittel behandelte. Mir war nach Weinen zumute. Nach jenem törichten Moment, als ich versucht hatte, Victor zu berühren, mit ihm zu sprechen, hatte ich die ganze Nacht auf ihre Rückkehr gewartet. Aber sie waren nicht gekommen.
    »Bist du sicher, daß es dir nicht zuviel wird?« fragte Elsie und musterte mein Gesicht mit Besorgnis. »Mama hat schon recht, du siehst gar nicht gut aus. Du bist sehr blaß, Andrea.«
    »Ach, es geht schon.« Meine Beine schmerzten mörderisch. Die Hitze im Zimmer setzte mir zu. Der Schlafmangel der vergangenen Nacht begann sich bemerkbar zu machen.
    Was hätte ich Elsie da anderes sagen sollen, als »ach, es geht schon«
    »Du kannst morgen ins Krankenhaus fahren. Heute nicht«, entschied Großmutter.
    Ich ließ mir das einen Moment durch den Kopf gehen. Das heißt, ich dachte nicht eigentlich darüber nach, ich versuchte vielmehr zu erspüren, was das Haus von mir wollte.

    Doch da es mir nichts mitteilte, beschloß ich, den Versuch zu machen. Wenn es mich am Besuch im Krankenhaus hindern wollte, würde es das tun. »Ich möchte aber gern heute hinfahren, Großmutter. Großvater wird denken, ich wäre wieder abgereist, ohne mich von ihm zu verabschieden.«
    »Laß sie doch, Mama«, sagte Elsie. »Eine kurze Autofahrt und dann eine Stunde im Krankenhaus. Das kann ihr nicht schaden. Aber hetz dich heute nicht so ab, bevor wir gehen, Andrea.« Brav ließ ich mich wieder einpacken wie zu einer Reise an den Nordpol, dann gingen wir los. An der Haustür zögerte ich flüchtig. Dann setzte ich den Fuß über die Schwelle und wußte, daß ich heute meinen Großvater sehen würde.
    Ich war nicht zum Reden aufgelegt, aber

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