Haus der Jugend (German Edition)
Unordnung, egal wie sehr die Biologen und Theologen es in Ordnungen einteilen, wie sehr Gesetze oder unsere Moral es regeln. Die Seele von Darius lässt Staubkörner zu, Gläser, die ich stehen lassen kann, eine Jacke, die nur über dem Haken hängt, statt auf einem Bügel. Ordnung ist nur dazu da, Spuren zu verwischen, die Fasern der Seelen zu entfernen, als ob man Menschen mit dem Radiergummi streichen könnte. Mit jedem Atemzug nehmen wir die Seelen der anderen zu uns und geben unsere eigene ab. Wir wandern in der Verwebung der Seelen zur Welt und werden Teil des Ganzen.
Jeden Morgen habe ich Angst um das Leben in meinem Haus, um den Atem, den Darius mitgenommen hat. Und doch verwische ich die Spuren, stelle das Geschirr in die Spülmaschine, wasche, beziehe das Bett manchmal neu, ordne.
Ich sage nichts von der Angst. Darius spürt sie, liest sie in meinen Gedanken, auf die er nur antwortet, wenn er sich darin gefangen sieht. Die Angst sticht das Glück aus. Der Stein wetzt die Schere, die Schere zerschneidet das Papier, das Papier bedeckt den Brunnen, in den der Stein fällt. Die Angst ist die Schere, was ist das Glück?
Ich müsste mich freuen, ich freue mich. Doch in den Tagen, bevor ich Darius traf, konnte ich den Hafen genießen, die kalte, klare Luft des Winters, den Schnee. Jetzt, die Krokusse stoßen die ersten Farbtupfer in die Wiesen, sind die Tage von Melancholie überzogen, die Abende von Sehnsucht. Ich bräuchte mich nur zu ihm legen.
Glück schmerzt. Wenn sich die Muskeln der Seele erst wieder an das Leben gewöhnen müssen, bekommen sie einen Kater. Ich muss trainieren.
Die Melancholie und die Sehnsucht brauchen Ventile, brauchen Farben und Formen, in denen sie sich ausdrücken und zeigen. Ich brauche Leinwand, an die ich das Leben werfen kann, einen Pinsel, der es herausspritzt, bunt, schmutzig vom Terpentin, von der Vermischung der Farben trüb und grau.
Wenn Darius morgens geht, trage ich die Angst und das Glück, Schlüssel und Schloss meines Körpers, in die alte Werkstatt hinten im Gartenhaus und male.
Wie lange hatte ich das nicht getan? Als wäre Kunst ein Beruf, den man aufgeben könnte, um Rente oder Pension zu kassieren. Als wäre sie ein Fieber, das geheilt war, hatte ich sie in der Werkstatt verhängt und verhüllt, eingeschlossen und ausgesperrt und mich von ihren Früchten ernährt wie von Gnadenbrot.
Sie empfängt mich nicht mit offenen Armen nach den Jahren, misstraut mir, wie ich Darius misstraue, zögert, wenn ich mich über die Leinwand beuge. Die Farben sind vertrocknet, die Staffelei ist morsch, spreizt ihre Beine nicht mehr, ohne einzuknicken. Sie ziert sich, obwohl sie sieht, dass ich sie brauche. Die Leinwand empfängt nicht, die Farben perlen ab, die Grundierung blättert und platzt auf. Die Kreide, mit der ich Konturen zeichnen will, zerfällt zu schwarzem Staub. Nur etwas bleibt hängen, eine Ahnung der Formen.
Es ist kalt im Gartenhaus, in der Ecke vor dem alten Ofen, den ich darin habe, liegen noch ein paar Briketts, die nach meiner letzten Arbeit übrig geblieben sein müssen. Ich gehe in den Garten, sammle ein paar Zweige, die mir trocken genug erscheinen. Wieder zurück lege ich sie vor dem beige und braun emaillierten Ofen ab. Auf einem alten schlichten Holztisch liegen noch ein paar alte Zeitungen, in denen ich früher die Pinsel ausgewischt habe. Ohne nachzudenken, reiße ich sie in Stücke und nutze sie zur Feuerung. Es stinkt nach Terpentin, es bollert, aber die Zweige brennen schnell und greifen auf die Briketts über. Ich setze mich auf einen Stuhl vor die Leinwand auf der maroden Staffelei und warte darauf, dass die Wärme meine Gedanken und Gefühle auftaut. Ich habe immer aus dem Bauch heraus gemalt, wusste bei der ersten Berührung noch nicht um die Komposition, die aus mir fließen würde. Jetzt sitze ich und warte auf eine Idee, ein Bild, vor dem ersten Strich schon vollkommen. Wie soll etwas fließen, wenn es gefroren ist?
Einfach aufstehen, die Kreide in die Hand nehmen, Sehnsucht meinen Arm führen lassen, den Gefühlen freien Lauf. So hat es doch immer funktioniert. So sind die Variationen von Darius entstanden. Männerakte, züchtig genug, die bürgerliche Welt nicht zu verschrecken und die Sexualität in der Fantasie zu belassen. Erotisch keusch genug, sie in der Galerie nicht im Hinterzimmer aufhängen zu müssen. Nackter Darius in gespiegelter Pose an einem Tisch mit sich selbst armdrückend. Darius in Badehose auf dem Sprungturm eines
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