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Haus der Jugend (German Edition)

Haus der Jugend (German Edition)

Titel: Haus der Jugend (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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Schwimmbads, nur vibrierendes Metall unter seinen Fersen, kein fester Grund unter den Füßen, die Muskeln angespannt, das Becken unter ihm so weiß, als wäre es mit Milch gefüllt. ›Fotorealistische männliche Anatomien, anregend und sinnlich.‹ So hatten die Kunstmagazine geurteilt.
    Langsam nehme ich die Wärme des Feuers auf, meine morschen Knochen knacken nicht mehr. Rauch steht in der Luft, die Abzugsklappe des Ofens ist noch verschlossen. So lange kein Feuer gemacht, so vergesslich. Die einst automatisierten Handgriffe sitzen nicht mehr.
    Leinwand atmen, mit dem Gewicht der Kreide in der Hand spielen, sie anheben, wieder absetzen, anheben, wieder absetzen …
    Den nächsten Strich riskieren, mit der Hand verwischen und die Form betrachten, die Intuition kommen hören. Fühler, Beine, Flügel, Augen. Vor allem Augen, große Facettenaugen. Eines nach dem anderen, wild verteilt, jedes so groß, dass die Beine es kaum tragen, die Flügel es unmöglich in die Luft erheben können. Bedrohlich flüsternd. Dunkel der Schatten eines Mannes, frierend die Schultern zusammengezogen, in den Hintergrund gedrückt, an die Wand eines zusammengefallenen Hauses. Licht und fahl eine Figur, nicht zu erkennen, nicht zu identifizieren, menschlich in gewisser Weise, doch zerklüftet wie das Massiv eines Berges, scheint sie mit dem Schatten zu reden, ihn zu füttern, mit Milch zu versorgen, ihm die Brust zu geben.
    Die Zeit, das Einkaufen, das Kochen, Darius – alles vergessen im Sog der Leinwand. Gebannt davorstehen, Stunden, der Pinsel klebt in meiner Hand am Bild. Den Schnee nicht hören, den Wind nicht, die Schritte nicht.
    »Das ist anders, als alles, das du je gemalt hast.«
    Aufschrecken, mich umsehen, Darius entdecken, geduscht mit feuchtem Haar in meinem Bademantel durch die Kälte gegangen.
    »Ich habe den Rauch gesehen.«
    Wann habe ich den Ofen in Gang gehalten?
    »Ich bin etwas aus der Übung.«
    »Es ist großartig. Düster, aber großartig.«
    Verlegen lächeln, einen Blick aufs Bild werfen, zu Darius gehen.
    »Danke. Ist dir nicht kalt?«
    Mir seinen Arm um die Schulter legen lassen, einen Kuss auf die Stirn.
    »Und ich wünschte, es wäre wahr.«
    Die Umarmung erwidern. Zwei Freunde – nebeneinander die Blickrichtung teilend, betrachten dunkle Facettenaugen, graue Schatten und eine Ruine.
    »Es ist wahr.«
    »Nein«, sagt Darius. »Das Aloisiushaus ist nicht verfallen. Es lebt und hält mich gefangen.«
    Ich höre den Kloß in seiner Stimme, sehe schnell zu ihm. Ob er die Träne auf seiner Wange bemerkt?
    »Komm«, sage ich, ziehe ihn fester an mich, der alte Mann den jungen – wie einen Sohn. »Lass uns etwas essen. Irgendwo, nur nicht hier.« Ich hänge den Kittel an einen Haken und wir gehen hinaus aus dem Gartenhaus, aus dem unaufgeräumten Geruch, den ich für meine Kunst brauche, aus der bedrückenden Dunkelheit des Bildes. Durch die Kälte, er nur im Bademantel, hinüber in das behagliche Licht, in die wohlige Wärme des Hauses, in dem das meiste an seinem Platz steht. »Ich habe nichts gekocht«, sage ich.
    »Das macht nichts«, antwortet Darius. »Ich verhungere bestimmt nicht.« Er folgt mir die Treppen hinauf ins Bad, setzt sich auf die Toilette, während ich mich ausziehe, um schnell die Dämpfe von Terpentin aus meinen Poren zu spülen. Den Kopf stützt er ab, an den Schultern zittert er leicht. Ich streichle ihm durchs Haar, an seinen Wangen entlang bis zum Kinn, möchte ihm ins Gesicht schauen, das er vor mir verbirgt.
    Weint er? Darius, der mich mit so viel Gefühl anfüllt, voller Ruhe jeden Gedanken hören und ertragen kann, der gelassen ein ewiges Leben auf der Straße als Freiheit bezeichnet und die Erfahrungen von Jahrhunderten in seinem jungen Körper trägt? Habe ich ihn überhaupt schon einmal weinen sehen? Im Spiel waren wir uns nahe gekommen, beim Sex näher und in den ausgesprochenen Worten »Du bist es« hatten sich unsere Seelen geküsst und für immer angenommen, dennoch hatte ich es für unvorstellbar gehalten, er könnte weinen.
    Er blickt auf, sieht mir ins Gesicht. Die Tränen laufen über seines, die Augen glänzen. Er lächelt wie zur Entschuldigung.
    »Weißt du, wie oft ich dich beneidet habe?«
    Ich schüttle den Kopf, stehe in Unterhose vor ihm, streichle ihn unablässig, möchte ihm nah sein und möchte einen Schritt weichen. Fühle mich wie ein Eindringling in seine Tränen, dabei sitzt er so ruhig auf der geschlossenen Toilette, als hätte er mich eingeladen.
    »Jedes

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