Haus der Jugend (German Edition)
Mal, wenn ich beim Geschlechtsverkehr auf ein Bild von mir starrte. Weißt du, wie viele Reproduktionen über den Kopfenden schwuler Betten hängen?«
Erneut schüttle ich schweigend den Kopf. Ein Hauch Bitternis ist in seiner Stimme, wie der einer bitteren Mandel zwischen lauter süßen und dem Rosenöl im Marzipan.
»Keine Angst«, fährt er fort, »es hat mich nie gestört. Die Bilder waren die Verbindung, die dich für mich am Leben hielt. Wie du aussahst, hatte ich längst vergessen, aber deinen Mut, deine Wut und deine Liebe nicht.«
Jetzt löse ich mich. Während er spricht, versiegen die Tränen, während er mich ansieht, gewinnt er wieder an Stärke. Ich drehe das Wasser auf, schließe die Tür zu Duschkabine, ziehe sie noch einmal auf. »Wir haben noch den ganzen Abend zum Reden.«
Raus aus den Worten über meine Bilder, aus dem Geist, der aus ihnen sprechen soll. Es waren immer Bilder der Sehnsucht, schmerzvoll für Heinrich, der sich neben ihnen immer unvollkommen gefühlt hatte, schmerzvoll für mich, weil ich wusste, er hatte recht, schmerzvoll auch, weil mit jedem Pinselstrich daran die Erinnerung für die Ewigkeit gebannt, die Hoffnung aber verbannt wurde. Hätte ich jemals darüber nachgedacht, Darius könnte die Bilder sehen, hätte ich sie nicht malen können.
Und jetzt erzählt er mir, er kennt sie, hat unter ihnen gefickt, sich ficken lassen und sich dabei mit mir verbunden gefühlt. Jetzt gibt er ihnen einen metaphysischen Rahmen, den ich ihnen nie gestatten wollte.
»Müssen wir wirklich noch aus dem Haus gehen?«, fragt er. »Es reicht doch, wenn wir uns ein paar Spiegeleier machen.«
»In Ordnung«, antworte ich und ziehe die Kabinentür wieder zu. Die Facettenaugen, der Schatten und die Ruine haben mich ausgesaugt. Keine Kraft mehr in mir, die sich noch um fantasievolles Kochen kümmern könnte. Nur noch das Verlangen, das heiße Wasser zu spüren, die Augen zu schließen und mich von dem Bild zu verabschieden, das im Gartenhaus lauert und mich morgen wieder rufen wird. So dunkel, dass Spiegeleier wie die aufgehende Sonne dagegen sein werden. Die Facettenaugen verschwinden im Abfluss, der menschliche Schatten wird in die Kanalisation gespült, die zerfallenen Mauern des Aloisiushauses zerbröckeln in den Rohren, der fahle Greis versucht sich festzuhalten, gegen den Strom zu schwimmen, bevor auch er verschwindet, doch ich weiß, er wird wiederkommen. Das Rascheln des Bademantels nicht hören, die Schiebetür nicht, die Schritte nicht, nur Darius’ Aura spüren, als er sich zu mir stellt, meine Hände ergreift und sich an die Hüften legt. Solange ich die Augen geschlossen halte, kann ich zwanzig sein, seine Berührung und seinen Atem genießen, sein Gesicht, das er mir ganz nahe bringt. Solange ich die Augen geschlossen halte, kann ich ihn sehen, ohne dass sich meine alte Haut ins Bewusstsein drückt, mich in der Hütte fühlen, nicht in Ruinen. Ich kann die warme Nässe aufnehmen, die uns umhüllt, die Küsse, die er mir gibt, auf den Hals, auf die Brust, den Bauch …
Kein Darius in Öl hängt an der Wand, doch sie sind alle da. Mit geschlossenen Augen kann ich in der Vergangenheit existieren, ihn umdrehen, mit Hilfe von Duschgel in ihn eindringen, Teil von ihm werden, in ihm sein, wie er seit fünfzig Jahren in mir ist, Teil von mir.
Ich öffne die Augen erst, als ich die Schiebetür höre, Darius’ Schritte auf den Fliesen, das sich reibende Handtuch. Undeutlich kann ich ihn sehen, deutlich mich, die Leberflecke, die geöffneten Poren, die grauen Haare über der Haut. Ich möchte mich ekeln, aber ich kann es nicht, möchte mich ärgern, bin aber zu aufgewühlt und ausgelaugt, möchte mich schämen darüber, wie sehr es mir gefallen hat, aber die reine Schönheit des Erlebens siegt.
»War es so schlimm?«, fragt er, als ich das Wasser abstelle.
»Nein.«
Er hüllt mich in das Handtuch, mit dem er sich abgetrocknet hat, und gibt mir einen Kuss. »Du bist es immer noch, egal, wie alt wir sind.«
›Du auch‹, möchte ich sagen, den Kuss erwidern, mit Darius durchs Haus tollen wie ein kleiner Junge, nackt bleiben, während wir Spiegeleier braten, Wein trinken, essen, fernsehen. Ich sage nichts. Es ist mir zu kalt, wenn ich nichts anhabe, selbst, wenn ich die Heizung voll aufdrehe. Darius bleibt im Morgenmantel, ich schlüpfe in meine Kleidung, bevor wir nach unten gehen.
»Weshalb hast du mich beneidet?«
Wir sitzen am Tisch, vor uns die Teller, es riecht nach Speck, nach
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