Haus der Jugend (German Edition)
Wände und ließ mich frösteln. Ich dankte dem Pfarrer, der am Herd stehen blieb, bis das Wasser kochte und mir wortlos andeutete, mein Mahl zu beginnen. Statt heißer Milch gegen die Heuschrecken bekam ich Kamillentee.
Vorsichtig probierte ich die Suppe, füllte nur wenig auf den Löffel, um mich langsam an das Fett zu gewöhnen. Sie schmeckte großartig, mit jedem Löffel wurde ich mutiger, taute auf, konnte dem Geistlichen in die Augen sehen, als der sich zu mir setzte. In seinem Blick lag Strenge, nicht die wohltuende, etwas mürrische, wortkarge Wärme der anderen Gastgeber.
»Weißt du, was geschehen wird?«, fragte er, nachdem ich den letzten Rest der Suppe mit einem Schluck Tee hinuntergespült hatte. Die Stimme war ruhig und tonlos. Ich schüttelte den Kopf, besann mich, eine wortlose Antwort würde bestimmt als unhöflich empfunden, als Beleg für meinen mangelhaften Charakter, dem es an Rückgrat und Klarheit fehlte. So hatten meine Lehrer es mir früher eingetrichtert. »Nein«, sagte ich mit fester Stimme. »Woher soll ich das wissen?«
Der Pfarrer lächelte zum ersten Mal. »Du hast recht«, sagte er, »das kannst du nicht wissen. Niemand kann in die Zukunft sehen …«
Warum waren die Worte so scharf wie ein Messer, warum so schneidend wie eisiger Wind? Sie bestätigten doch nur etwas Alltägliches.
»… solange er sich nicht entschieden hat.«
›
Entschieden.‹
Auf dem Zettel, der wie von Geisterhand von Haus zu Haus getragen und beschrieben wurde, hatte auch etwas von einem Kampf gestanden, von dem ich nichts wusste. Ich konnte nur ahnen, dass die Heuschreckenschlangen und die behütenden Häuser, die Wolpertinger, Bauern, Händler und Pfarrer ihn um mich führten, wusste nicht, wie ich hineingeraten und was an mir umkämpfenswert war. Dennoch sollte ich entscheiden. Für wen, gegen wen, für was, gegen was?
»Was für eine Entscheidung?«, fragte ich. »Mein Leben wird durcheinander geworfen, damit ich mich entscheide. Ich habe weder eine Entscheidung noch einen Kampf gewollt. Welches Spiel spielt ihr mit mir?« Die Überforderung ließ die Worte lauter aus mir strömen, als es die Höflichkeit gebot. Ich erschrak über den Hall, der von den spärlich geschmückten Wänden zurückgeworfen wurde, zuckte leicht vor meinem eigenen Ausbruch zusammen. Der Pfarrer hatte mir zu Essen gegeben, mir Tee gekocht, ein Bett für die Nacht angeboten, sich zu mir gesetzt, um mit mir zu reden. Aber ich konnte nicht mehr. All die Beschimpfungen mussten aus mir heraus, die Heuschrecken, die zu Schlangen wurden, die Mutmaßungen über meinen Charakter, der Glaube, verdorben zu sein, die Entlassung aus dem Theater, Fritz, der Geld gefordert hatte, der Chef, dem es egal war, ob ich etwas getan hatte, Darius, der einfach verschwunden war. Mein Leben: Ein verlorenes Stück Fleisch, das durchs Universum trudelt, aus der Umlaufbahn geraten und zur Entscheidung gedrängt, als hätte es freiwillig die Grenzen der Atmosphäre übertreten.
Der Pfarrer blieb ruhig, trank einen Schluck Tee, betrachtete mich, legte die Hand auf den Tisch, meiner nah, aber berührte mich nicht.
»Weißt du, was die Heuschrecken von dir wollten, was die Schlangen wollen?« Er stand auf, holte eine Petroleumlampe von einem Regal, entzündete deren Docht und stellte sie auf den Tisch, während er sich wieder setzte. Der Geruch von Benzin verbreitete sich über dunklen Qualm, der aus der Lampe stieg und deren Licht in Wolken hüllte. Ich verfolgte ihn mit meinem Blick, wartete, bis ich versuchte, leise genug zu antworten, damit der Raum meine Stimme schluckt, bevor die Wände sie fangen und verstärken können.
»Ich soll mir eine Frau suchen, heiraten, eine Familie gründen und so tun, als sei ich nicht der, der ich bin.«
Wieder der Blick des Pfarrers, musternd, abwartend, als wollte er mit seiner Strenge Bewegungen in meinem Kopf bewirken.
›
Ich muss ihm standhalten.‹
Es war nur ein Gefühl, das mich leitete, dem Blick nicht auszuweichen, gerade zu bleiben.
»Empfindest du das so?« Starr blieb der Geistliche sitzen, keine Regung im Gesicht.
Ich nickte stumm -
›gerade bleiben‹
- verbesserte mich, schob schnell mit fester Stimme nach: »Ja.«
»Warum bist du so überzeugt, verdorben und unanständig zu sein?« Immer noch keine Bewegung. Nur die Schatten und der Rauch der Petroleumlampe scheinen lebendig zu sein, tanzen flackernd im kalten Lufthauch, der durch die Fugen der Fenster und Mauern dringt.
»Das bin ich nicht«,
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