Haus der Lügen - 8
musste er improvisieren und legte beide Hände an den Mund, bevor er losbrüllte:
»Master Daikhar!«
Trotz des unfassbaren Lärms reagierte der First Lieutenant. Pawal deutete hastig auf den nun sehr kurz wirkenden Großmast.
»Großsegel setzen!«, brüllte er.
Einen Moment lang blickte Daikhar ihn nur an. Dann nickte er. Offensichtlich hatte er verstanden, was auf dem Spiel stand. Eigentlich gehörte das Großsegel nicht zu den Segeln, die man für eine Schlacht setzte. Es war zu groß, zu unhandlich und viel zu nah am Oberdeck, wenn es gesetzt war. Doch irgendwie musste der Verlust von Großstenge und Bramstenge ausgeglichen werden. Sofort zog der First Lieutenant einige Männer aus den Reparaturtrupps und von den derzeit nicht nutzbaren Geschützen ab und scheuchte sie in die Wanten.
Pawal überließ die Aufgabe dem First Lieutenant und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Gegner. Seine Kiefermuskeln spannten sich an, als er sah, dass die Dohlaraner tatsächlich weiter vorrückten – genau, wie er es befürchtet hatte.
Harys Aiwain stieß einen heftigen Fluch aus, als die Dart an Fahrt verlor. Er selbst hatte ebenfalls keine andere Wahl, als Segel einzuholen, wenn er den Abstand zum Flaggschiff aufrechterhalten wollte. Ein Teil von ihm hätte die Dart stattdessen lieber überholt, sich vor ihr positioniert. Aber wenn er das täte, wären seine eigenen Geschütze durch den Rumpf der Dart versperrt, solange er sie passierte. Also könnte er keinen einzigen Schuss abgeben, bis er Pawals Schiff hinter sich gelassen hätte.
Seine Gedanken überschlugen sich fast, als er fieberhaft nach Alternativen suchte. Im Augenblick wusste er nicht, ob die Dohlaraner es darauf anlegten, dieses Gefecht wirklich bis zum bitteren Ende durchzuhalten. Falls der Gegner die Absicht haben sollte, den Kampf jetzt abzubrechen und sich damit zufrieden zu geben, dass der Konvoi gerettet wäre, böte der Schaden an der Takelage der Dart ihm dazu die ideale Gelegenheit. Wenn sie andererseits hier bleiben und es ausfechten wollten, verschaffte der gleiche Schaden ihnen einen beachtlichen Manövriervorteil.
Was ein charisianisches Geschwader tun würde, wusste Aiwain genau – aber Dohlaraner waren nun einmal keine Charisianer. Vielleicht reichte ihnen der Triumph, sich gegen charisianische Kriegsgaleonen deutlich besser geschlagen zu haben als jeder andere. Ihre Hauptaufgabe bestand ja zweifellos darin, den Konvoi zu beschützen, der derzeit von der Flash und der Mace angegriffen wurde.
Am besten bleiben wir, wo wir sind, und nehmen ihre Nachzügler so hart unter Beschuss, wie wir nur können , entschied er. Gleichzeitig winkte er einen seiner Midshipmen heran.
»Gehen Sie nach vorne, Master Walkyr«, sagte er ungerührt zu dem kalkweißen Zwölfjährigen, »gehen Sie in die Vorbramsaling und behalten Sie das Flaggschiff im Auge! Wenn sie den Kurs ändert oder einer dieser Mistkerle auf sie zuhält, schaffen Sie sofort Ihren Hintern wieder hier runter und erstatten mir Meldung! Unverzüglich! Verstanden?«
»Aye, aye, Sir!«, erwiderte der junge Bursche und hastete durch Rauch und Geschützdonner davon.
Ahndair Krahls Schiff hielt sein Tempo, lag jetzt Breitseite an Breitseite vor der größeren, kampfstärkeren, aber mittlerweile angeschlagenen charisianischen Galeone. Die beiden Schiffe bestrichen einander, Kanonendonner grollte, Kugeln pfiffen durch die Luft. Trotz des Schadens in der Takelage, trotz der zahlreichen Einschusslöcher, die Krahl in Schanzkleid und Wandung erkennen konnte, teilte das charisianische Schiff immer noch ebenso aus, wie es einsteckte.
Die Geschütze des Gegners waren wirklich größer als alles, was Krahl aufzubieten hatte. Das wurde wieder einmal deutlich, als eine Kanonenkugel der Charisianer die Wandung der Bédard durchschlug, ein Dutzend Matrosen in den Tod riss und den Schlitten eines der Fünfundzwanzigpfünder auf dem Batteriedeck zerschmetterte.
Krahl blickte achteraus; dort zog sich die Großvikar Mahrys allmählich von ihrem Duell mit dem zweiten Charisianer zurück. Die Abneigung, die Sir Dahrand Rohsail für Krahl empfand, beruhte auf Gegenseitigkeit. Dennoch musste Krahl zugeben, dass der arrogante Aristokratenschnösel einiges auf dem Kasten hatte.
Die deutlich leistungsstärkere Artillerie des Gegners hatte die Großvikar Mahrys ernstlich beschädigt. Krahl war sich nicht ganz sicher, aber er glaubte sehen zu können, dass Blut aus den Speigatts von Rohsails Schiff strömte.
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