Haus der Lügen - 8
spät.
Der charisianische Captain ging ein beachtliches Risiko ein, mitten in einer Schlacht so viele Segel zu setzen. Der Druck des Windes auf die zusätzliche Segelfläche belastete sein Takelwerk immens. Unter derartigen Bedingungen mochte selbst ein an sich unbedeutender Treffer in der Takelage zu schweren Schäden führen. Wenn das Schiff zu sehr krängte, konnten zudem die geöffneten Geschützpforten unter die Wasseroberfläche geraten – das wiederum würde das ganze Batteriedeck fluten. Doch der Plan des Captains war aufgegangen. Kaum dass er das dohlaranische Flaggschiff passiert hatte, wurde das Großsegel eingeholt, und damit verschwand das strahlende Weiß des Segels mehr und mehr, das sich in widernatürlicher Makellosigkeit von der schmutzig grauen Rauch- und Rußwolke und all dem zerfetzten, fleckigen Tuch abgehoben hatte, das über ihm flatterte.
Doch Raisahndo blieb nicht viel Zeit, über die Schönheit dieses heranfliegenden Schiffes zu sinnieren. Noch während er Befehle brüllte, blitzten Flammen in den Geschützpforten der Shield auf.
Der Abstand betrug weniger als zweihundert Schritt. Für eine Seeschlacht war das eine beachtliche Entfernung. Die Shield hatte allerdings Zeit genug gehabt, sich darauf vorzubereiten. Zum ersten Mal feuerte sie mit der Aufwärts bewegung des Schiffes in den Wellen statt bei der Abwärtsbewegung. Die sorgfältig gezielte und gut vorbereitete Breitseite jagte über das Wasser hinweg. Dann löste sich der Fockmast des dohlaranischen Schiffes in Wohlgefallen auf.
»Verdammt noch mal!«, entfuhr es Raisahndo, als sein Fockmast über Bord ging. Dabei riss er die Großbramstenge mit sich, und die Rakurai geriet ins Rollen, als ihr plötzlich so viel Segelfläche fehlte. Doch das plötzliche Verschwinden der Fockmastsegel war viel, viel schlimmer. Deren Aufgabe bestand darin, während der Manöver das Gegengewicht zu Ruder und Besan zu sein. Nachdem Mast und Segel fort waren, fiel die Rakurai noch rascher vom Wind ab als vorhin die Großvikar Mahrys .
Auch die Shield änderte den Kurs und bereitete sich darauf vor, der Rakurai den Fangschuss zu geben. Da aber kam die Bédard angeschossen, um sie abzufangen. Captain Krahl brachte sein Schiff zwischen den Angreifer und sein eigenes angeschlagenes Flaggschiff.
Zhon Pawal taumelte rücklings. Beinahe hätte es ihn von den Füßen gerissen, als einer der auf dem Achterdeck postierten Marines geradewegs in ihn hineinkrachte. Kurz glaubte er, der Corporal sei getroffen worden, doch das währte nicht lange. Nur so lange, wie der Marine brauchte, um den Captain vor dem herabstürzenden Besanmast zu retten.
Der Mast zerschmetterte mindestens drei weitere Matrosen der Dart , und die Galeone taumelte beinahe ebenso heftig wie kurz zuvor ihr Captain. Ebenso wie vor wenigen Treffern die obersten Teile des Großmastes ging nun auch der Besanmast über Bord, verwandelte sich in einen unfreiwilligen Anker für das kaum noch manövrierfähige Schiff. Und wieder blitzten zwischen den Trümmern Äxte und Entermesser auf.
Pawal nahm sich einen Herzschlag lang Zeit, dem Marine dankbar auf die Schulter zu klopfen. Dann konzentrierte er sich wieder ganz auf die Schlacht, als HMS Gardist und HMS Prinz von Dohlar herangestürmt kamen, um der Dart den Todesstoß zu versetzen.
Captain Mahrtyn Zhermain konnte nicht sehen, was vor dem dohlaranischen Flaggschiff geschah. Eigentlich konnte er überhaupt nichts sehen, so dicht war der beißende Pulverdampf. Er war überall, brannte in den Augen, zerriss einem fast Nase und Lunge. Trotz häufiger Artillerieübungen begriff Zhermain erst jetzt, wie dicht und alles verdunkelnd der Rauch von so vielen Geschützen sein konnte. Doch er konnte immer noch das Ziel erkennen, das er schon so lange verfolgte. Nebelartig, wie ein Geist, stand es vor ihm. »Feuer!«, brüllte er, und die erste Breitseite der Prinz von Dohlar traf die Dart .
Mittschiffs zerstob ein ganzer Abschnitt des Schanzkleides der Dart . Zwei Karronaden wurden aus der Verankerung gerissen; dreiundzwanzig weitere Matrosen fanden den Tod oder wurden schwer verwundet. Captain Pawal wankte geradewegs in das Blutbad hinein, brüllte Befehle, obschon seine Kehle sich anfühlte, als sei sie längst blutig, und half persönlich dabei mit, Trümmer fortzuräumen.
Viel mehr hält sie nicht aus , dachte er. Das kann sie gar nicht!
»Geschütze bereit, Jungs!«, hörte er sich selbst befehlen. »Macht die Mistkerle fertig!«
Allmählich lässt
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