Haus der Lügen - 8
es so weiterginge, würde er bald niemand mehr haben, der sich um die Steuerbordgeschütze kümmern könnte.
Plötzlich war Jubel zu hören, und Pawal drehte sich gerade rechtzeitig herum, um zu sehen, wie der Besanmast der Großvikar Mahrys zur Seite stürzte. Sofort verlor die dohlaranische Galeone an Fahrt. Es war unverkennbar, dass die Trümmer es deutlich erschwerten, das Schiff zu manövrieren. Noch während Pawal zum Gegner hinüberschaute, folgte die Großbramstenge dem Besan, und der angeschlagene Dohlaraner fiel ab und driftete nach Lee.
Etwas tauchte in Pawals Augenwinkel auf, und gerade als er nach Steuerbord blickte, kam die Shield heran. Sie legte sich hart an den Wind; an den Marssegeln waren die Reffs ausgeschüttet, darunter war das Großsegel gesetzt. Die Geschützpforten an Lee lagen kaum zwei Fuß über den Wellenkämmen, so sehr krängte sie. Sofort wusste Pawal, was Aiwain im Sinn hatte.
Er riss sich die Kopfbedeckung herunter und winkte dem anderen Schiff damit zu.
»Seht euch das an, Jungs!«, rief er. »Die Shield wird denen eine blutige Nase verpassen!«
Zumindest einige seiner Männer hatten ihn gehört, und Jubel brandete auf. Allzu lautstark fiel er nicht aus. Dafür hatten sie schon zu heftige Verluste hinnehmen müssen. Aber seine Männer waren noch lange nicht besiegt, und Pawal fletschte die Zähne zu einem grimmigen Grinsen.
Natürlich sind da immer noch die beiden Mistkerle, um die sich Aiwain vorhin gekümmert hat , dachte er rau. Die werden schon bald längsseits zu uns gehen. Aber sollen die Jungs ruhig erst mal jubeln!
Selbst mit vergrößerter Segelfläche brauchte die Shield gut fünfzehn Minuten, um die Dart einzuholen und dann zu passieren. Die ganze Zeit über hatte sie nicht in die Schlacht eingreifen können. Harys Aiwain spürte schmerzhaft seine angespannten Kiefermuskeln, als er hinter sich erneuten Artilleriedonner hörte. Er wusste, dass sich die vierte und die fünfte dohlaranische Galeone auf die Dart stürzten und mit neuer Wut auf das schwer angeschlagene Flaggschiff feuerten. Doch dagegen konnte er jetzt nichts tun. Pawal würde einfach nur eine Weile durchhalten müssen, während die Shield sich um die Rakurai und die Bédard kümmerte.
Wenigstens hatte dieser unfreiwillige Aufschub es ihm gestattet, seine Geschützbedienungsmannschaften neu aufzustellen, sorgfältig nachzuladen und einige der wichtigsten Reparaturen durchführen zu lassen. Die Shield preschte weiter fort und neigte sich tief in die Wellen. Aiwain selbst ertappte sich dabei, sie innerlich anzufeuern, während sie vor die Dart zog. Sein Hirn arbeitete wie ein Abakus, eines dieser neumodischen Rechengeräte, während Aiwain Entfernungen und Peilungen berechnete.
»Großsegel aufgeien!«, rief er, als sich die Ergebnisse seines geistigen Abakus durch einen kurzen Blick auf den Masttopp des vordersten Dohlaraners bestätigten, den Pawal in dem allmählich verwehenden Pulverdampf erhaschen konnte. Matrosen eilten zu Geitauen und Refftaljen, und die Segel stiegen empor, gewaltige Vorhänge, wie von unsichtbarer Hand in die Höhe gezogen.
Jetzt war der Rauch noch dünner geworden. Die Shield war weit vor der Dart und immer noch deutlich schneller, und ...
Da!
» Mit der nächsten Welle!«, bellte er, dann hielt er einen Moment inne und ...
»Feuer!«
Caitahno Raisahndo stand neben dem Ruder. Mit den Fingerspitzen trommelte er auf den Kompassstand und versuchte mit zusammengekniffenen Augen den allgegenwärtigen, beißenden Rauch zu durchdringen. Die Rakurai gewann langsam, aber stetig Höhe. Noch zehn Minuten, allerhöchstens fünfzehn, und er wäre weit genug voraus, um nach Lee gehen zu können. Bei dem Schaden, den die Takelage des Charisianers genommen hatte, würde die Rakurai gewiss härter an den Wind herankommen. Mit ein wenig Glück könnte er den Bug der Dart kreuzen und ...
Plötzlich tauchten aus der Rauchwand der Bugspriet und die Fockmastsegel eines weiteren Schiffes auf. Raisahndos Augen weiteten sich. Es war die zweite charisianische Galeone. Sie hatte ihren Kurs geändert, ohne dass er es bemerkt hatte. Eigentlich kein Wunder in diesem Kampfgetümmel und bei dem dichten Rauch.
Und weil ich mich so sehr auf ihr vorderstes Schiff konzentriert habe , gestand Raisahndo sich ein und verwünschte sich innerlich, dass es dazu gekommen war. Er hätte niemals zulassen dürfen, dass seine Konzentration allein einer Sache galt. Doch nun war es für derartige Vorhaltungen zu
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