Haus der Lügen - 8
Möglichkeit – die Bédard Bay in der Republik Siddarmark. Die Nördliche Bédard Bay wäre von allen im Winter eisfrei bleibenden Häfen derjenige, der sich am leichtesten verteidigen ließe. Angesichts von Clyntahns Misstrauen allem gegenüber, was mit Siddarmark zu tun hatte, musste es ihm doch verlockend erscheinen, einen beachtlichen Teil der neuen Flotte der Kirche genau vor die Ufer der Hauptstadt zu bringen. Was, wenn nicht das, sollte den Reichsverweser von jeglichen Dummheiten abhalten!
Es war die Frage geblieben, wie die Kirche ihre Schiffe bei der Verlegung nach Süden aufteilen würde. Merlin hatte auf eine größere Zersplitterung der Kräfte gehofft und gedacht, die ›Vierer-Gruppe‹ würde die nördlichen Einheiten vielleicht weiter aufteilen. Aber dem war nicht so.
Was Merlin gehofft und was er erwartet hatte, waren zwei Paar Schuhe. Die Kirche hatte sich für genau die Strategie entschieden, die ihm am sinnvollsten erschienen war. Die Flotte zu massieren, war angesichts der Leistungen des Grafen Thirsk nur logisch. Und nicht nur das: Unter Thirsks tatkräftiger Leitung produzierten die dohlaranischen Gießereien nun mehr – und bessere – Geschütze als jedes andere Reich, von Charis einmal abgesehen. Bislang verwendeten sie noch Bronze. Sie waren noch dabei, die größten Schwierigkeiten zu überwinden, die nun einmal damit einhergingen, Geschütze aus Eisen herzustellen. Obwohl weniger einfallsreich als die Gießereibesitzer in Charis, war man in Dohlar deutlich innovativer als etwa in Harchong.
Die gesamte Wirtschaft von Harchong basierte immer noch auf einem System, das effektiv nichts anderes war als Sklaverei. Im Kaiserreich gab es uralte, arbeitsintensive Methoden, Dinge zu erledigen. Ein reaktionäres System und die ultra-orthodoxe Einhaltung der Ächtungen der Jwo-jeng sorgten dafür, dass man in Harchong Veränderungen gegenüber alles andere als aufgeschlossen war. Die immense Größe des Reiches und die gewaltige Anzahl von Untertanen hatten es Harchong gestattet, die Wirtschaft im Westen von Howard und Haven seit mehr als anderthalb Jahrhunderten zu dominieren. Das war so, obwohl das harchongesische System für sich betrachtet äußerst ineffizient war. Als die Kirche das gewaltige Bewaffnungsprogramm in Angriff genommen hatte, ließ die schiere Anzahl der harchongesischen Gießereien es angeraten erscheinen, wenigstens ein Drittel des Gesamtbedarfes an Artillerie im Kaiserreich zu produzieren, besser noch die Hälfte. Dieser Plan war nicht aufgegangen, denn die kleinen harchongesischen Gießereien waren deutlich weniger produktiv als erwartet. Vor diesem Hintergrund war es für die Kirche tatsächlich ein Hoffnungsschimmer gewesen, dass Thirsk und Herzog Fern die Produktion dohlaranischer Geschütze so deutlich vorangetrieben hatten. Da die Produktion sowohl in Harchong wie in den Tempel-Landen hinterherhinkte, ergab es durchaus Sinn, möglichst viele der derzeit noch unbewaffneten Galeonen der Kirche in die Gorath Bay zu verlegen. Nachdem die Klaueninsel nun fest in Thirsks Hand war, wäre die Überfahrt dorthin kürzer und deutlich sicherer, als die neuen Schiffe irgendein anderes Ziel ansteuern zu lassen.
Auf diese Weise würden beinahe zweihundert Galeonen, unter dem Oberkommando des besten Admirals, den die Kirche hatte, in eine ideale Position gebracht, um von Osten aus Chisholm oder Corisande anzugreifen. Und da die Imperial Charisian Navy nach den Verlusten, die Sir Gwylym Manthyr in der Harchong-Meerenge erlitten hatte, nur noch über weniger als einhundert eigene Galeonen verfügte, würde es ... schwierig werden, sie so zu verlegen, dass sie der Bedrohung entgegentreten könnten.
Vor allem, da wir uns immer noch um diese verflixten Desnairianer kümmern müssen, wie Bryahn zu bemerken sich nicht verkneifen konnte , dachte Merlin.
Wann immer Merlin an Herzog Kholman und Admiral Jahras dachte, musste er unweigerlich an einen General aus der Geschichte Terras namens McClellan denken. Kholman und Jahras verstanden es zu organisieren. Trotz ständiger Schwierigkeiten mit ihrer eigenen Artillerie-Produktion hatten sie es geschafft, etwa siebzig Galeonen zu Wasser zu lassen, zu bewaffnen und (mehr oder minder) zu bemannen. Das war eine beachtliche Leistung. Vor dem gewaltigen Schiffsbauprogramm der Kirche hatte es in Desnairia nämlich keine Schiffsbauindustrie gegeben. Natürlich hatte allerorts Bestechung geherrscht; einige der Schiffe waren nicht sonderlich gut
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