Haus der Lügen - 8
zu machen.
Jetzt, da wir die Möglichkeit haben, Berichte von Kampfeinsätzen zu Rate zu ziehen und eigene Experimente durchzuführen, wird offensichtlich, das Kanonenkugeln nur relativ kleine Löcher in den Rumpf reißen. Das hätte uns eigentlich von Anfang an klar sein müssen, wenn wir uns nur die Mühe gemacht hätten, darüber nachzudenken! Und nicht nur das, Holz ist auch ... elastisch. Es kann sehr gut passieren, dass die Holzplanken sich verbiegen, sodass das Geschoss sozusagen hindurchflutscht und die Beplankung wieder in die ursprüngliche Position zurückfedert. Das hinterlässt keine großen Löcher, weshalb die Schiffszimmermänner es mit der Reparatur ziemlich einfach haben. Außerdem liegen die meisten Löcher, die Kanonenkugeln reißen, oberhalb der Wasserlinie. Das ist der Teil des gegnerischen Schiffes, den unsere Waffen tatsächlich erreichen. Also nicht gerade die beste Methode, um ein Schiff zu versenken. Um das zu schaffen, ist das geballte Geschützfeuer gleich mehrerer Schiffe nötig – wie vor der Felsnadel und in der Klippenstraße, wo uns das bei mehreren Galeeren gelang. Dabei reden wir hier von dohlaranischen Schiffen. Deren Planken und deren ganzer Rahmen waren viel leichter als das, was wir verwenden – oder auch die Tarotisianer. Nach Auswertung aller Informationen komme ich zu dem Ergebnis, es müssen unter dem geballten Beschuss die Rahmen der Schiffe selbst auseinandergebrochen sein – und das sorgt natürlich für deutlich größere Schäden am Rumpf.
Aber sämtliche Berichte unserer Kapitäne zeigen, dass der Sieg nur gelingt, wenn man die Mannschaft ausschaltet.« Mahndrayn wirkte sehr konzentriert, und nun beugte er sich ein wenig vor und gestikulierte sehr eloquent (wenngleich gänzlich unbewusst). »Meistens sind es die Verluste an Bord, die letztendlich für die Manövrierunfähigkeit eines Schiffes sorgen, Sir. Was Schäden in der Takelage angeht, sind Galeonen viel empfindlicher als Galeeren. Aber auch die Galeeren sind gefährdet: Kommt es unter ihren Ruderern zu großen Verlusten, büßen auch sie ihre Manövrierfähigkeit ein. Für beide Schiffstypen gilt, dass sie nicht mehr effektiv kämpfen können, wenn sie zu viele Männer verlieren. Das war der entscheidende Faktor in praktisch jedem ausgewerteten Schlachtbericht.
Statt sich also darauf zu konzentrieren, wie man die Schiffe versenken könnte, ist es viel effektiver und effizienter, durch die Schäden am Schiffsrumpf dafür zu sorgen, dass es zu Verlusten bei der Besatzung kommt.« Mit Gesten verlieh der Commander seinen Worten Nachdruck. »Unsere bisherigen Tests zeigen: Ein großes, schweres Geschoss, das sich gerade schnell genug bewegt, um die Sparren auf der einen Seite des Schiffsrumpfes zu durchschlagen, ohne auf der anderen Seite aus dem getroffenen Schiff auch wieder auszutreten, führt zu einem Höchstmaß an Verlusten. Die von einem solchen Geschoss erzeugten Splitterwolken nämlich, die sich vom Aufschlagpunkt aus in alle Richtungen ausbreiten, verletzen oder töten beachtlich viele Seeleute. Auch als Querschläger, der durch den Rumpf rast und weitere Personenschäden verursacht, besitzt eine Kanonenkugel ein höheres Vernichtungspotenzial, als wenn sie auf der anderen als der Einschlagsseite aus dem Rumpf wieder austritt.«
Langsam und bedächtig nickte Rock Point. Etwas in ihm war von Mahndrayns kaltblütiger Art abgestoßen, nur auf die Verlustzahlen zu schauen. Gleichzeitig jedoch wusste auch Rock Point genau, dass man sich im Krieg Zartgefühl nicht leisten konnte. Es musste das Ziel eines jeden Kommandanten sein, so viele Gegner umzubringen und dabei die Verluste in den eigenen Reihen so gering wie nur irgend möglich zu halten.
»Basierend auf den Ergebnissen unserer Testreihen«, fuhr Mahndrayn fort, »sollte man die effektivste Armierung erhalten, wenn man möglichst schwere Geschütze einsetzt. Man muss dabei natürlich beachten, wie rasch sie sich bedienen lassen, und auch, wie sich ihr Gewicht auf das gesamte Schiff auswirkt. Aber im Ganzen läuft es auf Folgendes hinaus: Der Gegner erhält deutlich weniger Treffer, aber jeder einzelne Treffer ist ungleich effektiver.
Das gilt in jedem Fall für Kanonenkugeln. Unsere Tests legen aber nahe, dass das für Geschütze, die Granaten abfeuern, sogar noch mehr gilt.« Der Commander schüttelte den Kopf, und sein Blick wurde noch konzentrierter und angespannter, als sehe er etwas, das Rock Points Augen verborgen blieb. »Wir hatten nicht
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