Haus der Lügen - 8
beschweren wollen. Seit Sonnenaufgang hatte der Wind stetig aufgefrischt. Mittlerweile war die steife Brise aus Südwest so kräftig, dass Windgeschwindigkeiten von fast dreißig Meilen in der Stunde erreicht wurden, und die Wellen kamen auf mehr als zehn Fuß Höhe. Die Squall neigte sich in den Backstagswind. Sie lag auf Backbordbug und näherte sich mit einer Geschwindigkeit von beinahe neun Knoten ihrer Beute. Die arme kleine Brigg schaffte bestenfalls sechs Knoten, und mit ihren Bemühungen, so rasch wie möglich seichtere Gewässer zu erreichen, hatte sie ein bisschen zu spät angefangen. Abgesehen davon war die Squall eines der umgebauten Handelsschiffe der ICN; ihr Tiefgang betrug gerade einmal zwei Drittel von dem einer echten, reinen Kriegsgaleone wie beispielsweise Admiral Manthyrs Flaggschiff.
Stywyrt sah den Kapitän des Handelsschiffs an der Heckreling stehen und hilflos die aufkommende Galeone anstarren. Was dem Mann wohl durch den Kopf ging? Schiffe wie diese winzige Küstenbrigg befanden sich häufig in Familienbesitz, und die meisten der ohnehin nicht gerade zahlreichen Besatzungsmitglieder waren miteinander verwandt. Diese Brigg hier würde nicht mehr als zehn oder zwölf Mann an Bord haben – allerhöchstens fünfzehn –, und eine einzige, sauber gezielte Breitseite der Squall würde das kleine Boot in ein kaum noch schwimmfähiges Totenhaus verwandeln. Das musste auch dem Skipper dieses kleinen Bootes bewusst sein. Eigentlich war Stywyrt ernstlich erstaunt, dass der andere Kapitän noch nicht den Wimpel der Kirche eingeholt und beigedreht hatte.
Hat wahrscheinlich etwas mit den Berichten aus Zion zu tun, die hier Tag für Tag eintreffen , dachte er grimmig. Wenn Clyntahn bereit ist, derart furchtbare Dinge mit Vikaren und Erzbischöfen anzustellen, dann weiß Gott allein, was er dem Kapitän eines armen kleinen Handelsschiffs antun lassen würde, bloß weil dieser zu schnell kapituliert!
Ahrnahld Stywyrt neigte nicht dazu, Mitleid auf die zu verschwenden, die Feinde seines Kaiserreichs und seiner Kirche waren. Doch eines gewissen angeekelten Mitgefühls mit dem Skipper, dessen Schiff er gerade dabei war einzuholen, konnte er sich doch nicht erwehren. Besagter Ekel richtete sich nicht gegen den armen Seemann.
Na, ich mag ja den lieben langen Tag mit ihm Mitgefühl haben. Aber das wird mich nicht davon abhalten, ihn zu den Kraken zu schicken, zusammen mit all seinen Freunden und Verwandten, wenn er nicht verdammt bald beidreht! , sagte sich der Captain gereizt und hob das lederne Sprachrohr.
»Master Mahldyn!«
»Aye, Sir?«
Lieutenant Zhames Mahldyn, der hochgewachsene, magere First Lieutenant der Squall , stand weit vorne, neben dem Steuerbord-Buggeschütz. Sein rotbraunes Haar wehte im Wind. Nun drehte sich der Offizier nach seinem Vorgesetzten um, und mit der freien Hand deutete Stywyrt auf die Brigg.
»Helfen Sie doch bitte dem Burschen da vorne, Vernunft anzunehmen, Master Mahldyn!«
»Aye, aye, Sir!
Selbst noch vom Achterdeck aus konnte Stywyrt das breite Grinsen auf Mahldyns Gesicht sehen. Dann beugte sich der schlaksige Leutnant über den Verschluss des Vierzehnpfünders. Einen Moment lang machte er sich daran zu schaffen und gab Handzeichen, während sich der Geschützführer neben ihm aufbaute, die Arme vor der Brust verschränkt, das Gesicht zu einer Grimasse resignierter Belustigung verzogen. Obwohl es zu Mahldyns Aufgaben gehörte, an Bord des Schiffes für Disziplin zu sorgen (und seine Vorstellung davon, was ein angemessenes Strafmaß war, konnte recht drastisch ausfallen), war er bei der Besatzung sehr beliebt. Vermutlich, weil er bei den Strafen, die er verteilte, stets gerecht blieb. Allerdings war allen bekannt, dass der Leutnant am liebsten selbst Kanonier geworden wäre. Jeglichen Geschützdrill ließ er mit fast schon fanatischer Präzision durchführen. Er bestand darauf, dass sämtliche Geschützbedienungsmannschaften ausschließlich aus vollständig ausgebildeten Geschützführern bestanden, und er ließ sich keine Gelegenheit entgehen, selbst an einem der Geschütze tätig zu werden.
Das bedeutete, dass der Geschützführer, den der Leutnant so sorgfältig ausgebildet hatte, nun nichts anderes zu tun hatte, als dabeizustehen und zuzuschauen, wie der First Lieutenant Kanonier spielte.
Ein weiteres Mal blickte Mahldyn das Rohr des Vierzehnpfünders entlang, bedeutete dem Rest der Mannschaft, einen Schritt zurückzutreten, griff nach der Abzugsleine, wartete
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