Haus der Lügen - 8
Dreißig-Pfund-Kugeln Schwierigkeiten hätte, die Wandung des gegnerischen Schiffes anständig zu durchschlagen, wenn es so weit wäre.
Aber je näher wir kommen, desto wahrscheinlicher ist es, dass auch die es schaffen, unsere Wandung zu durchdringen , sinnierte er. Das wird ... unschön.
Er blickte zu dem dohlaranischen Schiff hinüber, das dem seinen am nächsten war. Jetzt betrug der Abstand gerade noch einhundert Schritt. Plötzlich hörte der Captain gellende Schreie unter Deck: mindestens eine dohlaranische Kanonenkugel hatte ihr Ziel getroffen. Aiwain wusste nicht, ob die Kugel die Planken der Shield durchschlagen oder eine geöffnete Geschützpforte gefunden hatte. Doch was auch immer passiert war, es würde nicht mehr lange dauern, bis Aiwain weitere Verluste zu beklagen hätte.
»Achtung, Steuerbordbatterie!«, schrie er Mahtohkai Daikhar zu, seinem First Lieutenant.
Mit finsterer Miene betrachtete Sir Dahrand Rohsail den dichten Rauch, der über das Deck von HMS Großvikar Mahrys hinwegrollte. Er stand auf der Steuerbordleiter, die zur Poop hinaufführte und versuchte, durch das Finknetz entlang der Reling hindurch zu spähen, in das jetzt wieder die Hängematten der Mannschaft eingewickelt waren, was (hoffentlich) Schutz vor Musketenschüssen bot. Im Augenblick jedoch vereitelten die übel riechenden Rauchwolken, die bei jeder Breitseite aufquollen, jeglichen seiner Versuche.
Rohsails Schiff mit seinen fünfzig Geschützen war eine der ersten neu gebauten Galeonen der Royal Dohlaran Navy. Er war ziemlich überrascht gewesen, dass man ihm das Kommando übertragen hatte. Mit seinen guten Beziehungen zu Herzog Thorast hatte er nie hinter dem Berg gehalten, und wie der Herzog konnte auch Rohsail Thirsk nicht ausstehen – wenngleich aus anderem Grund. Trotzdem konnte Rohsail nicht leugnen – zumindest nicht vor sich selbst –, dass Thirsk vor der Seeschlacht an der Felsnadel Recht gehabt hatte. Herzog Malikai dagegen hatte ganz offenkundig falsch gelegen. Jeder, der auch nur einen Hauch Ahnung von höfischer Politik hatte, wusste eines genau: töricht der, der annähme, Thorast würde offen eingestehen , dass die Dummheit seines Schwagers zum Verlust der gesamten Navy geführt hatte! Aber selbst der Herzog musste wissen, dass es in Wirklichkeit so und nicht anders gewesen war. Rohsail wusste es in jedem Fall.
Außerdem war der Captain bereit zuzugeben, dass das System von Signalflaggen, das Thirsk sich von den verdammten Charisianern abgeschaut hatte, wirklich von enormem Vorteil war – in dem Maße, in dem sich die einzelnen Schiffe eines Geschwaders oder auch einer Flotte miteinander abstimmen konnten, gar schlachtentscheidend. Nicht auszudenken, wäre diese Art der Kommunikation weiterhin ein Privileg der Charisianer geblieben! Ja, Rohsail sah sich sogar gezwungen einzugestehen, dass Thirsk die Lage deutlich klarer und realistischer abzuschätzen vermochte, als Thorast das gelungen war, und das in praktisch jeder Hinsicht: Er wusste, welche Schiffe und welche Taktiken erforderlich waren, um diesen arroganten charisianischen Mistkerlen einen ordentlichen Tritt in den Hintern zu verpassen.
Das alles stimmte zweifellos, und Rohsail wusste es ganz genau. Doch zugleich wusste er auch, dass der Graf mit diesen Bemühungen die gesamte Navy nach und nach aushöhlte. Er wagte es, Bürgerliche auf Posten zu befördern, aus denen heraus sie Adeligen weisungsbefugt waren. Thirsk beharrte darauf, noble Herren durch ungehobelte Handelsmatrosen niederer Geburt ›schulen‹ zu lassen – wie diesen Ahndair Krahl von der Bédard . Und dann diese Wahnsinnsidee: Solange ein Seemann sich auf See befinde, sei die Heuer auf dessen Wunsch hin direkt seiner Familie auszuzahlen. Zur Gänze und pünktlich!
Rohsail hatte überhaupt nichts dagegen, dass die Männer ihre Heuer erhielten ... beizeiten. Aber das Geld war eben immer knapp. Manchmal musste eben entschieden werden, was an Bord zu finanzieren wichtiger war. Und Matrosen an Bord eines Kriegsschiffs hatten doch überhaupt keine Möglichkeit, ihre Heuer auszugeben . Also war es sehr sinnvoll, sie nicht zu entlohnen, bis der jeweilige Einsatz beendet war. Das war eine äußerst gute Methode, mit dem stets spärlichen Geld umzugehen. Gut, manchmal standen unmittelbar nach Abschluss der jeweiligen Fahrt keine Mittel zur Verfügung, die Männer zu entlohnen. Aber es gab immer Bankiers, die bereit waren, ihre verzögerte Heuer aufzukaufen – für eine Provision von
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