Haus der Lügen - 8
etwa zwanzig Prozent. Und wenn ein Seemann im Einsatz fiel – was natürlich hin und wieder geschah –, dann brauchte die Navy überhaupt niemanden zu bezahlen, jawohl! Aber Thirsk sah das natürlich anders.
Selbst wenn man diese Schnapsidee außer Acht ließ, Witwen und Waisen eine lebenslange Rente zu zahlen, würde die Notwendigkeit, die Heuer sofort an die Familie der Matrosen auszuzahlen, die Finanzen der Navy beizeiten gehörig durcheinanderbringen. Mutter Kirche mochte sich so etwas ja leisten können. Aber es war völlig unmöglich, dass das Königreich Dohlar diese Praxis beibehalten könnte, sobald die Ketzer erst einmal endgültig besiegt wären. Und wem würde der Abschaum auf den unteren Decks die Schuld geben, wenn man von dieser Praxis wieder abrückte? Wen würde man verachten und hassen? Ganz gewiss nicht den Grafen Thirsk, so viel stand fest! Nein, es würde an Herzog Thorast hängen bleiben, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Und es wäre wirklich ein Wunder, wenn es dabei nicht zu Meutereien käme!
Und wenn das geschieht, wird es auch nicht gerade hilfreich sein, dass Thirsk die ganze schöne Navy-Disziplin in den Wind geschrieben hat , dachte Rohsail grimmig. ›Die Peitsche vermag aus einem schlechten Matrosen keinen guten zu machen, aber aus einem guten einen schlechten‹, ja, ja! Was für ein Unfug! Die Peitsche ist doch das Einzige, was die meisten von denen da unten überhaupt verstehen! So wie Thirsk denen in den Hintern kriecht, wird das nur dafür sorgen, dass wir alle noch viel tiefer in der Scheiße sitzen, wenn die Zeit gekommen ist, den ganzen Schlamassel wieder aufzuräumen!
Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, einen Streit mit dem Mann anzuzetteln, den Vikar Allayn und Vikar Zhaspahr dafür ausgewählt hatten, das Oberkommando über die Dohlaran Navy zu übernehmen. Dieser Zeitpunkt würde erst noch kommen: sobald offenkundig würde, welche fatalen Konsequenzen Thirsks befremdliche Vorgehensweise hatte, haben musste! Rohsail konnte den Tag kaum noch erwarten, an dem das alles ans Licht käme und der Graf seine wohlverdiente Strafe erhielte. Aber in der Zwischenzeit galt es, einen Krieg zu führen. Und so verrückt Graf Thirsk in nur allzu vieler Hinsicht war, er verstand wenigstens, was getan werden musste, um diesen Krieg auch zu gewinnen .
Die Großvikar Mahrys geriet ins Stampfen, als sie eine weitere Breitseite in die undurchdringliche Rauchwand feuerte. Rohsail lächelte schmal, als er sich vorstellte, was dieser Sturzbach aus massiven Eisenkugeln dem Gegner antun musste.
Ich wünschte, ich könnte dieses verdammte Ding sehen! , gestand er sich selbst ein. Wenigstens die Masten kann ich ausmachen. Dann muss der Rest des verfluchten Schiffes da ja schließlich auch irgendwo sein!
Dieser Gedanke entlockte ihm ein raues Lachen. Der Captain erklomm weiter die Leiter zum Poopdeck. Dort oben wäre er zwar weniger geschützt, aber vielleicht könnte er von dort oben wenigstens etwas sehen!
Eine weitere dohlaranische Breitseite rollte heran. Diese hier war deutlich besser gezielt, und Harys Aiwain musste mit ansehen, wie eine Kanonenkugel sich geradewegs durch das Schanzkleid mittschiffs fraß. Pfeifend jagten Splitter geborstener Planken über Deck, manche drei Fuß lang oder noch größer, und zerfetzte Leinentücher flatterten im Wind, als die Kugel die dicht zusammengerollten Hängematten durchschlug, die man zwischen den Stützen auf der Oberkante des Schanzkleides aufgespannt hatte. An Karronade Nummer fünf gingen zwei Männer zu Boden. Einer von ihnen landete schlaff auf dem sandbestreuten Deck. Rasch bildete sich um ihn herum ein Spinnennetz frisch vergossenen Blutes. Der andere hingegen schrie vor Schmerzen und zerrte mit einer Hand an dem großen Holzsplitter, der aus seiner rechten Schulter herausragte. Ein weiterer zog den Verwundeten in Deckung, und rasch traten zwei Männer von der Steuerbord-Batterie vor – je einer von Karronade Nummer sechs und Nummer acht –, um die Verluste auszugleichen.
Der Captain bemerkte all diese kleinen Details, ebenso wie er die frisch gerissenen Löcher im Vormarssegel sah und das Stück Segeltuch, das der Wind mit sich riss, als eine weitere Kanonenkugel es abtrennte. Doch Aiwain nahm es nur unterbewusst war. Seine eigentliche Aufmerksamkeit galt ganz dem dritten Schiff in der dohlaranischen Kiellinie. Sie stand der Shield jetzt fast genau gegenüber, keine fünfzig Schritt mehr entfernt. Der Captain wartete noch
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