Haus der roten Dämonen
den unterschiedlichsten Tierarten zusammengestellt zu sein schienen. Links von ihr stand eine Art Kentaur, der Menschenoberkörper saß allerdings auf einem Vogelleib. Daneben stand, hoch aufgerichtet, ein kräftiger Mann mit Vogelgesicht und hinter ihm ein Wesen, das aussah wie ein riesiger Hirschkäfer. Mehrere Katzenwesen, die aus verschiedenen Raubtieren zusammengemischt waren, schlichen durch das Dunkel und traten nur ab und zu in den Lichtschein. Neben ihr wartete ein Vogelwesen mit einem langen, schlanken Hals, der beständig wippte, als müsste er sein Gleichgewicht suchen. Alle Felle und die Gefieder schimmerten rötlich. Vor ihr, ganz am Eingang, sah sie Jan knien, die Hand gegen das Licht der Fackeln ausgestreckt. Sie blendeten ihn.
»Schrecklich ist viel auf der Welt«, hörte sie den Kater sagen, »doch nichts darin ist schrecklicher als der Mensch.« Er schnurrte die Worte und doch hallten sie in der Höhle wider wie Donner. Julia vermutete, dass die Akustik die Stimme des Katers verstärkte.
»Wo ist Julia?«, hörte sie Jan erneut fragen.
Julia wollte eben wieder zu zappeln beginnen, um auf sich aufmerksam zu machen, als die Schraubzwingen von Armen sie sanft auf den Boden gleiten ließen. Die Hand gab ihren Mund frei. »Jan! Ich bin hier!«, rief sie und holte Luft. Ihre Stimme klang bei Weitem nicht so laut wie die des Katers.
»Julia!«, rief es – und Julia zuckte zusammen. Das war nicht Jans Stimme gewesen.
»Wer …?«, wagte sie zu fragen. »Wer hat mich da gerufen?«
Doch niemand antwortete.
»Julia! Geht es dir gut?« Das war jetzt Jans Stimme.
»Ja. Mir geht es gut. Ich komme zu dir«, sagte sie, aber eine schwere Hand legte sich auf ihre rechte Schulter. »Äh … nein … ich glaube, ich darf nicht.« Die Hand wurde schwerer.
Sie sah, wie Jan aufstand. Die Augen noch immer mit der Hand gegen das Fackellicht abschirmend, lief er tiefer in die Höhle hinein.
Als ob Julia geahnt hätte, was kommen würde, rief sie noch ihr »Nein!« in den Raum, doch da war der Eingang bereits durch eines der Katzenwesen besetzt. Jetzt gab es keinen Ausweg mehr.
»Lasst sie zusammen!«, hörte Julia noch den Kater befehlen, dann lief sie auf Jan zu.
»Was sind das für Wesen?«, fragte Jan, als er Julia im Arm hielt. Erst jetzt fiel ihr auf, wie sehr sie zitterte. Jan hielt sie
fest, schien ihr Zittern durch seine Umarmung dämpfen zu wollen.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte sie. »Bitte nicht so fest. Du presst mir die Luft aus den Lungen, Jan.«
»Namenlose Wesen«, hallte die Antwort durch die Höhle. »So schrecklich wie namenlos!« Es war der Kater, der sprach.
»Warum hast du uns hierhergebracht, Kithara?«, fragte Julia. Ihre Stimme klang noch schwächer als eben, doch sie genügte offenbar, um eine Totenstille zu erzeugen. Plötzlich herrschte absolutes Schweigen. Nur das Vogelwesen scharrte nervös mit seinen Krallen, die brennenden Fackeln knackten, und das Feuer zischte, das sie verzehrte. Es war so still, dass Julia glaubte, die Höhle selbst atmen zu hören.
»Wie hast du mich genannt?«, hallte es durch den Raum.
»Kithara. Ein Kater ohne Namen, wer soll das sein? Kithara wirst du in Zukunft heißen.«
Lange Zeit sagte niemand etwas, bis der Kater tief einatmete.
»Kithara!«, flüsterte er. »Ich heiße Kithara! Ein guter Name.«
»Wer seid ihr?«, wagte Jan nachzufragen. Julia löste sich von ihm und wischte sich über die Augen. Obwohl sie keine Tränen gefühlt hatte, war ihr Gesicht nass. Jan legte seinen Arm um ihre Hüfte, und sie wehrte sich nicht gegen diese Vertraulichkeit, die ihr zu versichern schien, dass sie beide gegen diese Vogel- und Katzenkreaturen zusammenstehen würden. Sie fasste seine Hand und presste sie gegen ihren Körper.
»Brüder und Schwestern sind wir«, sagte der Kater und umrundete die beiden. »Wesen aus den Farben der Erde und dem Blut des Meisters.«
Julia verstand nicht ganz, was Kithara meinte. »Für Brüder
und Schwestern seht ihr … wie soll ich sagen … sehr unterschiedlich aus.«
Der Kater lachte, wenn man das rhythmische Fauchen so deuten durfte. Doch bevor er antworten konnte, fuhr Jan dazwischen.
»Seid ihr gemalte Lebewesen, die zum Leben erweckt wurden? Wie der Leu?«
Julia sah in die Runde. Die anderen Wesen um sie her nickten. Der Kater setzte sich auf sein Hinterteil und begann, sich die rechte Pfote zu lecken. »Genau das. Allesamt wurden wir unfreiwillig in diese Welt geworfen. Wie nennt ihr es? Wir wurden zum
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