Haus der roten Dämonen
zögerte, ob er ihr nachlaufen sollte. Wenn sie nichts von ihm wissen wollte, dann …
Seine Überlegungen stockten. Eben hatten sie noch die Karlsbrücke bewundert und ihre Eleganz bestaunt. Jetzt hockte darauf, wie es Wasserspeier an den Traufen der Kirchen und Dome taten, der Leu. So reglos und beinahe scheu, dass man auf den ersten Blick glauben konnte, es handle es sich um eine Statue aus Stein. Nur seine drei Köpfe witterten in alle Richtungen und pendelten unruhig hin und her.
»Julia!«, rief Jan und deutete mit ausgestrecktem Arm auf die Karlsbrücke.
Weitere Bemerkungen blieben ihm erspart, denn das Untier richtete sich auf den Hinterbeinen auf und ließ seinen markerschütternden Kampfschrei aus allen drei Kehlen hören.
»Glaubst du, er hat uns entdeckt?« Julia war zurückgekommen und legte jetzt eine Hand auf seine Schulter. Jan fühlte, wie sie zitterte.
Der Leu witterte zur Kleinseite hinauf.
»Wir sollten uns sputen!«, sagte Jan nur und trieb Julia an. »Wenn er nämlich nur halb so gut sehen kann wie wir, dann hat er uns entdeckt.«
Sie liefen los, drehten sich jedoch fortwährend zu dem Dämon um, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Zwar rührte sich das Wesen noch nicht von der Stelle, doch schien etwas seine Aufmerksamkeit zu erregen. Es war unruhig und die Stachelschürzen um die drei Nacken, die eben noch flach am Körper gelegen hatten, begannen sich zu sträuben.
»Er wittert etwas, das ihn aufregt«, bemerkte Julia.
»Uns!«, zischte Jan und wollte Julia weiterziehen.
Sie blieb stehen und drängte auch Jan, die Veränderungen zu beobachten, die sich am Körper des Leu vollzogen. Sein Fell wurde dunkler und bekam einen metallenen Glanz.
»Was geschieht da?«
»Wenn ich das wüsste, Julia … und eigentlich müsste ich es wissen.« Jans Stimme klang wohl ein wenig bitter, denn Julia sah ihn kurz an, hob eine Augenbraue und trieb ihn weiter an.
»Nur Jaroslav kann uns helfen. Wir müssen weiter«, sagte sie.
Wenn er noch lebt, dachte Jan. Dies laut zu sagen, getraute er sich nicht.
Sie tauchten in die Gassen der Kleinseite ein und der Leu geriet aus ihrem Blick. Nur wenn sich am Himmel Wolken vor die Sonne schoben, schauten beide kurz ängstlich hoch, ob sich der Schatten der Bestie über sie legte, ansonsten verloren sie kein Wort mehr darüber.
Keine Menschenseele war auf der Straße. Alle Bewohner hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen. Noch nicht einmal Hunden und Katzen begegneten sie. Alle Lebewesen schienen sich nach dem letzten Brüllen in ihre vermeintlich sicheren Unterschlupfe zurückgezogen zu haben.
Julia bog als Erste in die Spornergasse ein, in der das Haus ihrer Eltern stand. Von der Gaststätte und dem Bräu
war jedoch nicht mehr viel zu sehen. Einzelne Ruinenwände ragten noch aus einem riesigen Schutthaufen empor. Das Haus war dem Erdboden gleichgemacht.
Julia wurde blass. Ihre Hände schlossen sich zu Fäusten. »Am liebsten würde ich das Vieh umbringen«, keuchte sie.
Als hätte der Leu sie gehört, begann er zu brüllen und setzte sich offenbar in Bewegung. Man hörte es am prasselnden Ziegelregen einstürzender Mauern.
Jan wollte gerade über die Straße rennen, um zu sehen, ob vielleicht der Keller des Gebäudes unbeschädigt geblieben war oder ein, zwei Räume unter dem Schutt sich erhalten hatten, als ihn Julia am Arm zurückhielt.
»Hörst du?«
»Pst!«, hallte es kurz von der Seite her. Jan kannte dieses »Pst!« nur zu gut. Nicht schon wieder die Frau des Zwillings. Er hatte keine Lust darauf, gegen die Wand gedrückt zu werden und über dem Boden zu schweben.
»Es ist …« Julia ging in die Hocke und suchte unten herum den Boden ab.
»Was tust du da? Sollten wir nicht schauen, wo dieser Jaroslav geblieben ist?«
»Macht euch keine unnötigen Umstände!«, hörte er eine Stimme über seinem Kopf.
Jan blickte hoch. Auch Julia stand auf. Beide sahen sie in Augen, deren öliger Schimmer Jan einen gehörigen Schrecken einjagte.
»Eine Chimäre!«, keuchte er und bückte sich, um am Boden nach einem Kiesel zu suchen, der ihm als Wurfgeschoss dienen konnte.
»Lass das!«, fauchte Julia.
»Aber das ist eine ähnliche Missgeburt, wie der Leu eine ist!«, erwiderte Jan und packte einen Ziegelbrocken, der aus der Wand vor ihm herausgebrochen war.
»Wenn du wirfst, siehst du mich nie wieder! Und deinen Arcimboldo kannst du dir an die Kappe stecken!« So wütend hatte er Julia noch nie erlebt. »Außerdem hat mir dein Meister etwas
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