Haus der roten Dämonen

zwar zu groß für das Loch, aber lieber im Loch stecken geblieben, als von den Mäulern des Leu in Stücke gerissen werden. Außerdem«, knurrte Jan, »ist sie mir noch eine Antwort schuldig.«
    Erstaunlicherweise öffnete sich ein wenig hinter dem
Zugang die Röhre so weit, dass Jan nicht mehr mit den Schultern gegen die Wände stieß, und noch einige Fuß tiefer dehnte sich das System zu einer geräumigen Höhle. Allerdings erspürte Jan das nur, weil er die Arme ausstreckte. Sehen konnte er nichts. Eine tintene Finsternis umgab ihn. Sofort griff er nach dem Uschebti. Möglicherweise würde sich bald herausstellen, was diese Dienerfigur taugte.
    In einiger Entfernung entdeckte er das Katzenwesen. Dessen Augen schillerten jetzt nicht nur, sie leuchteten in einem fahlen Licht und beleuchteten beinahe die Umgebung.
    »Mein Lieblingsort!«, kommentierte der seltsame Kater. »Wo sind wir?«, fragte Jan. »Wo ist Julia?« Seine Stimme hallte. Der Raum musste groß sein. »Julia?« Doch Julia antwortete nicht. War sie überhaupt da? Wenn nicht, dann nützte auch der Uschebti nichts. »Julia?«, wiederholte er. »Was weißt du über meine Mutter?«
    »Meister Gremlin hat mir diesen Ort gezeigt.« Die Stimme des Katzenwesens klang hier unten beinahe menschlich. Wenn Jan die Augen schloss, hätte er nicht sagen können, ob sie von einer Chimäre oder von einem Kind stammte.
    »Was sollen wir hier?« Er lauschte. »Julia?«, rief er ihr wieder. Zuerst hörte er nichts. Dann erfüllte ein Wimmern die Höhle. Ein hohes Wimmern, das in einen Ton überging, der ebenso gut als Erbrechen wie als Krampf hätte gedeutet werden können.
    »Wer ist da?«, fragte Jan. Seine Augen gewöhnten sich zu langsam an das Dunkel hier drinnen.
    »Wer seid Ihr?«, fragte die Finsternis zurück und Jan stellte es die Nackenhaare empor. Er hatte richtig gehört. Er war nicht allein in dieser unterirdischen Kammer. Ganz automatisch ballten sich seine Hände zu Fäusten, schlossen
sich um die Fayence-Figur, bereit, jeden Angriff sofort zu erwidern. »Julia? Wo bist du, Julia?«
    Stille. Selbst die beiden Augenlichter des Katers verschwanden. Er hatte wohl einfach die Lider geschlossen. Wie eine Drohung legten sich Finsternis und Grabesstille über den Raum, füllten ihn aus, lasteten auf den Ohren. Zuletzt vernahm Jan nur noch seine eigene Atmung. Ihm war, als würden von allen Seiten Wesen wie die Katzenchimäre auf ihn zukriechen. Seine Haut spürte feine Schwingungen, die er noch Tage zuvor für nicht wahrnehmbar gehalten hätte. Sie verdichteten die Luft um ihn her. Dann hörte er ein scharfes Klicken. Drei Funken fielen durch die Finsternis, fielen auf ein wenig Watte, entflammten diese, entzündeten trockenes Stroh. Jemand blies in die Flamme, dürres Holz fing Feuer. Plötzlich roch es nach Kiefernzweigen und Harz. Jan starrte in die Flamme, die höher und höher züngelte, bis ihm bewusst wurde, dass dies ein entscheidender Fehler war. Damit blendete er sich, ohne selbst jemanden sehen zu können. Bevor er mit der Hand die Augen bedecken konnte, rief jemand in die Helligkeit hinein:
    »Ergreift sie!«

23
    Teufelswesen und Visionen
    J ulia hatte dem Kater völlig vertraut. Sie hätte ihm auch gern einen Namen gegeben, etwas wie Kithara, Kyra oder Kajano. Sie war sich nur noch nicht sicher gewesen, schließlich sollte der Name zu seinem Wesen passen.
    Der Verrat kam sehr überraschend. Als Hände nach ihr
griffen und ihren Mund verschlossen, versuchte sie zuerst, sich zu wehren. Doch die Hände packten zu wie Zwingen, und man trug sie fort, weg vom Eingang in einen hinteren Teil der Höhle.
    Sie hörte Jan in die Höhle kriechen, hörte, wie er nach ihr rief. Sie wollte schreien, ihrem Peiniger entkommen, doch der hielt sie ungerührt fest, als wäre sie ein Sack Kartoffeln, den es zu schultern galt.
    Es war zwecklos. Sie beschloss, nicht mehr zu strampeln und zu treten, ihre Kräfte zu sparen. Wie leblos hing sie im Arm des Unbekannten und verfolgte, was um sie her geschah. Dann flammte Feuer auf, eine Fackel wurde entzündet. Schließlich wurde das Licht weitergegeben. Immer neue Fackeln erhellten die Finsternis, bis schließlich fünf von ihnen brannten und den unterirdischen Saal ausleuchteten.
    Das Katzenwesen saß inmitten einer Gruppe von Lebewesen, deren Aussehen Julia schaudern ließ: tierköpfige Menschen, wie aus dem Spielzeugkasten der Natur zusammengesetzte Teufelswesen. Zehn rötlich schimmernde Geschöpfe zählte sie, die aus