Haus der roten Dämonen
nicht tot sein. Eine halbe Stunde zwischen Leben und Tod. Mehr nicht. Irgendwann habe ich es aufgegeben, weil ich malen und nicht ständig todkranke Menschen besuchen wollte. Außerdem überträgt sich mit dem Blut der Sterbenden, das man verwendet, auch deren Persönlichkeit. Das macht die Wesen eigen. Sie gehorchen nicht. Sie sind selbstständige Wesen mit all den Stärken und Schwächen von uns Menschen. Man kann sie lenken, aber nicht beherrschen. Das beste Beispiel dafür ist Contrario!«
Messer Arcimboldo stützte sich mit einer Hand am Gemäuer ab.
»Was hat das mit meiner Mutter zu tun?«
»Junge! Junge! Wenn man wie ich durch die Welt zieht, von einem Hof zum anderen, wenn man hier ein Jahr bleibt, dort zwei Jahre, dann … irgendwann fühlt man sich leer und einsam.« Der Maler atmete schwer.
Jan sah in sein Gesicht. »Das habt Ihr mir alles schon erzählt«, sagte er lapidar.
Messer Arcimboldo rang ganz offensichtlich mit der Wahrheit. Erstaunlich fand Jan jedoch, dass mit dem Fortschreiten der Geschichte die Tür vor ihnen näher zu rücken schien. »Irgendwann habe ich mir eine Gefährtin gemalt und lebendig werden lassen. Nun, wie man es als Maler tut. Eine Frau, deren Schönheit betörend war. Ich habe das Blut einer meiner Dienstmägde dazu benutzt. Doch sie ist am Aderlass gestorben. Die Chimäre war noch schöner als die Magd. Die Männer sind ihrem Zauber erlegen. Nicht nur ich selbst. Viele andere auch. Bis sie mich verlassen hat. Aber da war sie noch nicht schwanger. Glaube ich wenigstens. Sie war so … so eigen … und wollte irgendwann nichts mehr mit mir zu tun haben. Leider trug sie mein Zeichen auf dem Rücken. Das Zeichen ihres Schöpfers, wie es alle belebten Wesen aus meiner Feder tragen müssen.«
Jan schluckte. Seine Mutter war also tatsächlich eine Chimäre gewesen. »Deswegen musste sie sterben?«
Messer Arcimboldo schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht deswegen. Sie ist gegangen und ich habe sie gehen lassen. Aber sie hatte mein Blut in sich, verstehst du? Mein Blut. Mit meinem Blut kann man vieles bewirken. Um ein Bild lebendig werden zu lassen, braucht man neben dem Blut eines Sterbenden das eigene Blut für einen Firnis. Erst dieser Firnis, der das Gemälde durchtränkt und es wie eine rote Haut schützt, macht die Bilder zu lebendigen Kreaturen. Damit besitzen jedoch alle diese Wesen einen Teil meines Blutes. Mit ihm konnte auch deine Mutter Kreaturen erzeugen.«
»Mich?«, schoss es aus Jans Mund.
Die Tür war so nahe gekommen, dass selbst Jan erschrak. »Ich weiß es nicht, mein Junge. Du trägst zwar mein Zeichen
auf dem Rücken, aber du bist keine Kreatur von mir.« Der Maler drückte die Klinke der Tür und sie sprang auf. Im Inneren war alles dunkel. »Sollen wir reingehen?«
»Ihr habt meine Frage noch nicht beantwortet!«, schrie Jan.
Messer Arcimboldo drehte sich zu Jan um. »Ich hatte geglaubt, diese Kreaturen, Chimären, Dämonen, oder wie du sie nennen willst, könnten sich nicht … fortpflanzen.«
»Ihr habt Euch offenbar getäuscht«, erwiderte Jan. Ihm war das Nest mit dem Ei darin noch deutlich in Erinnerung. Die beiden Fledermausdämonen hatten es bewacht. Hatte Messer Arcimboldo wirklich keine Ahnung davon, dass es für die Bilderwesen doch möglich war, Nachwuchs zu bekommen?
»Deine Mutter«, fuhr der Maler fort, »konnte zuerst keine Kinder bekommen. Erst als sie mich verlassen hat, wurde sie offenbar gesegneten Leibes. Was willst du sonst noch wissen? Ja, ich hatte von der Zeichnung auf deinem Rücken gehört und sie mir angesehen. Sie ist nicht von mir. Jeder, dessen Blut vermag, was meines vermag, trägt das Zeichen. Deines ist dem meinen ähnlich – aber es ist nicht von mir. Ob du tatsächlich die Frucht eines Schoßes bist oder nur aus einem Gemälde stammst, weiß ich nicht zu sagen!«
Jan war verwirrt.
Messer Arcimboldo ließ ihn stehen und trat ein. Er verschwand im Dunkel hinter der Tür. Jan zögerte einen Augenblick zu lange. Plötzlich verspürte er einen Luftzug, die Tür schlug zu und vor ihm erschien wieder dieser endlose Gang.
Jan stand wie erstarrt. Was hatte er getan? »Messer Arcimboldo!«, schrie er in die Flucht des Ganges hinein, doch außer seinem Echo hörte er nichts. Er war allein mit sich
und seinen Gedanken und die prasselten wie Regen auf ihn nieder. Wenn seine Mutter keine Kinder bekommen konnte, dann war sie auch nicht seine Mutter. Er stammte dann auch nicht von einer Hexe ab. Hatte sie ihn gemalt oder hatte
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