Haus der roten Dämonen
schimmernde Fangzähne ragten. Der Oberkörper hatte die Breite und Muskulatur eines Bärenbrustkastens und die schuppigen Hinterläufe mit ihren Krallen konnten einer Eidechse entlehnt sein. Nur dass sie unendlich viel kräftiger waren. Und schärfer. Und tödlicher. Und wenn es sich bewegte, glitt ein rötlicher Schimmer über sein Schuppenfell, als würden Wellen darüber laufen. Das Horn der Krallen klackte unangenehm auf den Holzdielen und hinterließ tiefe Kratzer im Boden. Auf dem Rücken
der Kreatur bemerkte Jan Flügel, die sich immer wieder nervös auffalteten und schlossen. Obwohl das Tier nur so groß war wie ein Hirtenhund, ging eine Bedrohung von ihm aus, die Jan bis ins Mark berührte.
Die Bestie war gerade an ihnen vorüber, als das Mädchen heftig ausatmete und den Kopf drehte. Jan blieb kurz das Herz stehen, und er fühlte, wie das Mädchen hinter ihm im selben Moment die Finger in seinen Arm krallte. Vor Schmerzen hätte er beinahe laut geschrien.
Eine blaue Zunge schnellte aus dem Maul des dämonenartigen Ungeheuers und strich über die Lippen. Der Kopf pendelte hin und her, als suche das Wesen etwas. Erneut fuhr die Zunge aus dem Maul, diesmal mit deutlich mehr Kraft, und wischte blitzartig über die Stelle, an der Julia das Bier verschüttet hatte. Wie ein Hobel fuhr die Zunge über das dunkle Parkett und hinterließ einen weißlichen Streifen. Die Zunge hatte mit einem einzigen Schlecken den Boden blank geschliffen.
Kurz hielt das Wesen inne, musterte aus gelben Augen die beiden Jugendlichen, dann drehte die Bestie wieder den Kopf und schien sich nur noch für den großen Saal zu interessieren. Ein Purpurrot zitterte bei jedem Schritt über den ganzen Körper des Tieres hinweg. Hörbar sog es den Duft ein, der aus dem Saal strömte, schnupperte und stieß die verbrauchte Luft mit einem kräftigen Stoß wieder aus. Der Atem stank nach Blut und Verwesung.
Jan dankte Gott dafür, dass dieser Dämon ihn und Julia verschont hatte. Das Getier strebte mit gespannter Aufmerksamkeit dem Saal zu. Dabei schimmerte es im Licht der Kerzen karmesinrot.
Als das Ungeheuer durch die Tür in den Vladislav-Saal einbog und dort verschwand, glaubte Jan, ihm müssten die Beine unter dem Körper wegsacken.
»Heilige Maria, Mutter Gottes!«, seufzte das Mädchen beinahe unhörbar neben ihm. »Das war ein roter Dämon!« Doch Jan hatte keine Zeit, sich um das Schankmädchen zu kümmern. Er hörte nebenan das Wesen brüllen, hörte es mit seinen Flügeln schlagen und hörte ebenso die erschreckten Rufe Messer Monts und des Ritters von Stackelberg, die sich neben dem Kaiser im Saal befanden. Seine Hand begann zu zittern – und beinahe hätte er vergessen, warum er hier stand und welche Aufgabe ihm zugedacht war.
»Bleib, wo du bist!«, zischte er dem Mädchen zu, dann wagte er sich mit unsicheren Schritten bis zur Tür des Saals und schloss zuerst den einen der Flügel, wie ihm von Messer Arcimboldo befohlen worden war. Dabei beobachtete er, wie sich die Kreatur im Raum auf den Hinterbeinen aufgerichtet und die Flügel gespreizt hatte. Blutrot leuchteten sie. Das Getier fauchte drohend in den Raum hinein.
Der erste Türflügel krachte in die Verriegelung. Das Wesen fuhr herum und blickte Jan direkt in die Augen. Es schien, als würde es einen Moment überlegen, woher es ihn kannte und warum es ihn nicht sogleich gefressen hatte. Doch die Unsicherheit verschwand auf Anhieb. Mit aufgerissenem Maul stürmte es auf die sich schließende Tür zu. Als sich die Kreatur umdrehte, erhaschte Jan noch einen Blick auf Heinrich von Stackelberg, der seinen Schild erhoben und das Schwert ausgestreckt hielt. Jan stemmte sich mit aller Kraft gegen den zweiten Türflügel und ließ ihn zufallen. Bevor die Bestie mehr fliegend als laufend gegen das Holz der Tür krachte, war das Schankmädchen da und half ihm, den Riegel umzulegen und die Tür in den Angeln zu halten. Ein Brüllen erfüllte den Saal hinter seinem Rücken. Nicht um alles in der Welt wollte er jetzt in der Haut des edlen Herrn von Stackelberg stecken. Auch wenn der eine Rüstung aus schimmerndem Eisen trug.
Zweimal noch schlugen die Pranken des Wesens gegen die geschlossenen Türflügel und ließen die Füllung splittern, dann ließ es davon ab und wandte sich wieder seinem Gegner im Saal zu.
Jan schluckte.
»Wo ist dieses Untier hergekommen?«, flüsterte das Mädchen neben ihm.
Hilflos zuckte Jan mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Offenbar ist es eine
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