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Haus der roten Dämonen

Titel: Haus der roten Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Dempf
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befand sich keine Menschenseele auf dieser Wendeltreppe.
    Jan fasste Leinwand und Hölzer noch einmal fester, lief die letzten Treppenstufen abwärts, lehnte sich mit all seiner Kraft gegen das Tor und ließ es hinter sich zufallen. Als er auf den Palasthof hinaustrat, wurde er plötzlich angesprochen.
    »Wie hat dein Herr das gemacht?«
    Jan fuhr herum. Neben ihm stand, als wäre er aus dem Boden gewachsen, der Genter Bildhauer Hans Mont. Seine Stirn glänzte vor Schweiß, sein Gesicht glühte in einer ganz und gar ungesunden, dunklen Röte, und seine Lippen zitterten unaufhörlich, als flatterten sie noch unter der Furcht vor dem Dämon. Dennoch funkelte in seinen Augen eine skrupellose Gier nach Macht.
    Er bedeutete Jan, näher zu kommen.
    »Ich will nur wissen, wie er es gemacht hat, Junge. Mehr nicht.« Er lächelte verschwörerisch. Dann zwinkerte er Jan zu. »Das mit dem … dem …«
    »Ich weiß nicht, was Ihr meint«, gestand Jan ehrlicherweise. »Ich bin erst seit gestern …«
    Der Bildhauer wurde lauter. »Wie er das gemacht hat, will ich wissen … das Drachenwesen … es war so lebendig … wer baut ihm die Maschinen?« Er packte Jan am Arm und zog ihn zu sich her. »Erzähl mir nicht, du würdest … ihr steckt alle miteinander unter einer Decke … ihr Papisten!« Das letzte Wort spuckte er regelrecht aus.

    Jan begriff, was er meinte. Der Hof Rudolfs II. versammelte Künstler, Gelehrte und Musiker aus aller Welt. Den Kaiser interessierte, was der Einzelne zu leisten vermochte, nicht, welchen Glauben er hatte. Dennoch war die Spannung zwischen Katholiken und Lutheranern, Calvinisten, Hussiten – oder wie die Neugläubigen sich sonst noch nannten – spürbar.
    Jan riss sich los. »Jetzt glaubt mir doch!«, rief er, doch Hans Mont war nicht mehr zu halten. Wie eine Furie stürzte sich der Bildhauer auf Jan und versuchte, ihm die zerstörte Leinwand aus den Händen zu reißen.
    »Halt mich nicht für dumm, Junge!«, fuhr ihn der Künstler an und packte einen Zipfel der Leinwand. Doch Jan ließ nicht los.
    »Vielleicht hat er die hier zum Leben erweckt«, blaffte der Junge und deutete auf die Wasserspeier, die vom Dach des Veitdoms aus die Szene beobachteten.
    Der Bildhauer wurde mit einem Mal blass und sah kurz nach oben, doch in dem Moment zog Jan an der Leinwand und zerrte sie wieder zu sich her.
    »Dir werd ich’s zeigen, mich auf den Arm zu nehmen!«, drohte Mont und packte erneut einen Zipfel des Rahmens.
    »Ich weiß nichts!«, brüllte Jan zurück. Zum ersten Mal verfluchte er die Entscheidung Messer Arcimboldos, ihn ausgewählt zu haben. »Warum wollt Ihr mich bestehlen? Ich bin nur ein Waisenjunge, der dafür bestraft wird, wenn er den Rahmen nicht zurückbringt.«
    »Komm mir nicht in die Quere, Papist, komm mir nicht in die Quere!«, schrie Mont unaufhörlich und zerrte dabei an der Leinwand. Doch Jan war um einiges stärker als die dicke Kugel vor ihm, die allenfalls ein Weinglas zu heben imstande war. Ohne große Anstrengung löste er die Finger des Künstlers von der Leinwand und mit einem Stoß brachte
er den Widersacher seines Meisters ins Straucheln. Hans Mont stürzte auf den Rücken, blieb liegen wie ein Käfer und strampelte und rang nach Luft. Seine Arme waren zu kurz, als dass er sich von selbst hätte aufrichten können.
    Jan presste die Leinwand an sich und machte sich aus dem Staub. Er lief auf den großen Palasthof hinaus. Um Mont sorgte er sich nicht. Genügend Menschen betraten und verließen den Palast. Messer Mont würde man finden. Außerdem empfand er kein Mitleid mit einem Mann, der sich nicht zu schade war, einen Waisenjungen zu bestehlen. Er hasste Messer Mont dafür, weil er Geringere in den Dreck stieß, um selbst Erfolg zu haben.
    Mit Riesenschritten eilte er hinter Messer Arcimboldo und Contrario her, ohne wirklich zu wissen, welchen Weg die beiden genommen hatten. Sie waren sicherlich zum neuen Vorplatz hinaus, da das Haus seines Meisters von dort aus schneller zu erreichen war.
    Unwillkürlich sah er sich um, ob nicht das Wesen über ihm kreiste. Die Begegnung mit dem Genter Bildhauer hatte ihm den Kampf im Herrschersaal wieder plastisch vor Augen geführt.
    Bei jedem Raben, der sich dunkel am Himmel abzeichnete, zuckte er unwillkürlich zusammen und achtete darauf, ob dieser nicht größer wurde und mit ausgestreckten Klauen auf ihn niederfuhr. Trotz seiner Ängste und der Visionen, die ihn plagten, erreichte er das Burgtor, schritt unbehelligt durch das Tor

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