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Haus der roten Dämonen

Titel: Haus der roten Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Dempf
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beleidigen, doch ihre Nase juckte wie wild.
    »Ach, das ist aber nett!«, sagte der Bettler jetzt in freundlicherem Ton, was Julia umso misstrauischer machte. Sie kannte den Kerl nicht. Er streckte ihr seine schmutzigen und an der Innenseite der Handfläche mit brüchigen Schwielen verschorften Hände hin. »Etwas zu essen und ein wenig Wein. Wie freundlich von deiner Mutter …«
    »… das ist für jemand anderen!« Julia musste widersprechen, sonst glaubte der Kerl wirklich, sie würde ihm ein Almosen bringen.
    Der Bettler gluckste, als hätte sie etwas Lustiges gesagt. Wieder humpelte er einen Schritt auf Julia zu. Bald stand er so nahe vor ihr, dass er sie hätte greifen können. Julia wollte nur eines, sich umdrehen und weglaufen, doch hinter ihr raschelte es ebenfalls. Langsam begriff sie, welchen Fehler sie begangen hatte. Bei solch einem Wetter hielt man sich vom Ufer fern, überhaupt fern von der Judenstadt. Ihre Mutter,
ihr Vater, ihre Freunde, alle hatten es gepredigt. Wenn sie jetzt losgelaufen wäre, wäre sie unweigerlich in die Hände der Bettler hinter ihr geraten. Zum ersten Mal in ihrem Leben sehnte sie sich nach dem Gärgeruch der Brauerei ihres Vaters, weil er vertraute Sicherheit bedeutete.
    »Nehmt den Korb und seinen Inhalt«, sagte sie und ihre Stimme klang trocken. »Ich stelle ihn hierher.« Sie bückte sich und ließ den Korb zu Boden gleiten. »Aber …« Julia wollte nicht aussprechen, was sie dachte, um den Kerl und seine Kumpane hinter ihr nicht auf dumme Gedanken zu bringen.
    Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als jetzt einen solch wagemutigen Jungen bei sich zu haben, wie dieser Jan einer war. Der hätte bestimmt eine Lösung gefunden. Doch Jan war weit weg – und sie selbst in der verzwicktesten Lage ihres Lebens.
    Kaum war der Korb auf dem nassen Lehm des Wegs abgesetzt, begann vom Judenviertel her eine Brise zu wehen, die den Nebel gerade an der Stelle zu teilen schien, an der sie stand. Der Bettler wurde ganz sichtbar. Die Flecken auf seiner Haut leuchteten plötzlich rot. Seine Magerkeit erschütterte Julia. Gehalten wurde das Skelett bloß noch von der Haut, die seine Knochen umspannte.
    Doch nur der Weg wurde nebelfrei. Der Fluss links von ihr und die Stadt zu ihrer Rechten blieben verborgen. Gerade dort, wo der Nebel wie durch ein Messer geteilt wurde, trat ein Mann aus dem Dunst. Er trug einen langen, faltigen Kaftan. Über der Schulter lag eine Schärpe aus weißem Wollstoff, die an beiden Seiten mit Schnüren versehen war. Auf dem Kopf trug er einen runden hohen Hut. Er war nicht groß, eher zierlich, mit einem fein geschnittenen Gesicht. Seine rechte Hand hatte er etwas erhoben, als wollte er Julia begrüßen.
    »Recht so, mein Kind. Das Huhn ist tatsächlich für den
Schwarzen Fleck, wie er sich nennt. Gib es ihm ruhig. Der Rabbi Löw kann es ohnehin nicht essen, da es nicht koscher zubereitet wurde. Den Wein allerdings, den kannst du ihm bringen.«
    Der Bettler, den der Mann hinter ihm mit Schwarzer Fleck angesprochen hatte, wollte herumfahren, doch irgendetwas machte es ihm unmöglich. Julia sah, wie er versuchte, seine Krücke vom lehmigen Boden zu lösen, aber sie schien dort festzustecken, genauso wie sein verbliebenes Bein. Plötzlich sah Julia Schweißtropfen auf seiner Stirn, die wie Nebeltropfen glänzten.
    »Hol das Huhn ruhig heraus, Julia«, forderte der Mann, »und gib es ihm einfach. Er wird damit zufrieden sein.«
    Tatsächlich langte der Bettler gierig nach dem Huhn. In seinem Gesicht zeichnete sich eine derartige Angst ab, als er seine Hand nach dem Huhn ausstreckte, dass sie nicht wusste, ob diese Bewegung freiwillig geschah. Julia tat es leid um das gebratene Tier in seiner knusprigen Haut. Doch lieber so als … sie durfte gar nicht daran denken.
    »Jetzt lass uns allein, Fleck!«, sagte der Mann im Kaftan sanft. Krücke und Beine ließen sich plötzlich wieder bewegen, und der Bettler beeilte sich, mit seiner Beute die Uferböschung hinabzuhumpeln. Er flüchtete in den Dunst des Nebels und fort von diesem Menschen, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war.
    »Vielen Dank, Herr. Ihr habt mir – vielleicht – das Leben gerettet!«, sagte Julia und machte einen Knicks.
    Der Mann lächelte, als er auf sie zukam. Er hielt jedoch Abstand zu ihr, denn er las wohl aus Julias angespannter Miene, wie sehr sie vor ihm Angst hatte. Julia fiel auf, dass sich der Mann außerhalb des Nebels zu bewegen schien. Hinter ihm schloss sich die Wand aus hellen

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