Haus der roten Dämonen
Pinselschwinger, angeklagt von einem Juden.« Heftig schüttelte er den Kopf. »Ich unternehme nichts.«
Julia stand langsam auf. Leise und eindringlich sagte sie: »Ihr wisst, dass das, was ich gesehen habe, keine Illusion gewesen ist – und Ihr wollt nicht helfen?«
Rabbi Löw presste die Lippen aufeinander und nickte.
»Juden!«, zischte Julia verärgert. Sie stand auf und sprang regelrecht aus dem Haus. Sie riss die Tür auf, bevor sich der alte Mann hinter ihr auch nur aus dem Sessel erheben konnte, und rannte den Weg hinaus aus der Josefstadt und hinüber zur Karlsbrücke. Der Rabbi hatte sie nur aushorchen, ihr jedoch niemals helfen wollen. Die Küchenhilfe Marga hatte ihr gesagt, wie wenig sie sich von diesem Juden erhoffen sollte. Und sie war trotzdem auf ihn hereingefallen.
Der Nebel hatte sich ein wenig gelichtet. Vor der Tür strahlte eine gedämpfte Sonne. Man konnte bis zur Brücke sehen. Die Moldau führte Feuchtigkeit heran. Es roch nach Fisch, Wasser und Algen.
Julia hatte die Tür offen stehen lassen und war auf die Brücke zugerannt. Sie hatte sich aushorchen lassen. Aber auch sie selbst war schlauer geworden. Die Tatsache, dass
sie von dem Blut erfahren hatte, machte sie höchst misstrauisch. Hatte nicht dieser Quacksalber ihrem Großvater Blut abgenommen und es nicht weggeschüttet, sondern mitgenommen? Sie würde Jan fragen und ihm vielleicht von ihrem Besuch bei Rabbi Löw erzählen müssen.
Julia wollte gerade auf die Karlsbrücke einbiegen, als sie von einem Geschrei abgelenkt wurde. Aus einem Hauseingang in einer der schmalen Seitenstraßen tönte ein Gekeife und Gebrüll, sodass ihr angst und bange wurde. Bevor sie noch vorüberhuschen konnte, betrat ein Mann die Gasse, der ihr ausreichend vertraut war: der Quacksalber!
Sie war sofort alarmiert. Er hielt etwas in der Hand, das sie von ihrem Standort aus nicht recht erkennen konnte. Jedenfalls stolperte der Krummgewachsene mit hochgezogenen Schultern und einem schützend über den Kopf gelegten Arm auf die Gasse hinaus. Flüche und hässlichste Verwünschungen folgten ihm, und schließlich flog ein Besen hinter ihm drein, der ihn im Rücken erwischte. Eiligst hinkte der Quacksalber davon, ebenfalls Verfluchungen ausstoßend.
Julia folgte ihm unauffällig. Sie wollte jetzt unbedingt herausfinden, was der Quacksalber mit Jan und dem Maler zu tun hatte. Deshalb würde sie ihn bis zu seiner Wohnung begleiten. An der Einbiegung zur Hauptstraße, die auf den Torturm zu- und unter ihm hindurch auf die Karlsbrücke hinaufführte, blieb der Mann stehen. Er hielt eine Phiole in die Höhe und ließ sie im sinkenden Sonnenlicht kurz aufblinken. In ihr schimmerte eine rötliche Flüssigkeit wie dicker dunkler Wein. Er lachte hämisch und steckte das Glasfläschchen in eine der Taschen seines Mantels. Dann humpelte er, so rasch ihn seine Beine zu tragen vermochten, über die Brücke und den Anstieg zum Schloss hinauf.
Julia hatte das Geschehen, das höchstens fünf oder sechs Atemzüge gedauert hatte, aufmerksam verfolgt. Doch erst
als der Quacksalber die Phiole ins Licht gehoben hatte, war es ihr eisig den Rücken hinabgekrochen. War das Blut gewesen? Das Blut der Person, die er eben behandelt – nein, getötet hatte?
11
Das geheime Zimmer
J an erwachte, weil er gespürt hatte, dass ihn etwas am Bein berührte. Er blieb still liegen, ohne die Augen zu öffnen. Wer sich bewegt, hat verloren – das war eine der Lektionen des Waisenhauses, die man sich schnellstens einprägte, oder man hatte keine ruhige Minute mehr. Zuerst musste er wissen, wo er war und was geschehen war.
Er lag in einem Bett, so viel stand fest – und es stand hoffentlich im Haus Messer Arcimboldos. Seine Hände berührten ein Laken, und er roch die Spelzen, mit denen das Kopfkissen gefüllt war. Es war bereits dämmrig, doch noch nicht Nacht, denn durch seine geschlossenen Augenlider hindurch nahm er einen schwachen rötlichen Lichtschein wahr.
Erneut wurde am Laken gezupft. Jans Ohren vernahmen jedoch weder ein Atmen noch das Geräusch eines Tiers. Vielleicht war es nur eine Ratte oder ein anderer Nager.
Wieder spürte er dieses Zupfen. Diesmal konnte er mithilfe seiner Beine und der Hände genau feststellen, wo sich das unbekannte Wesen befinden musste. Mit einem Ruck setzte er sich auf, öffnete die Augen, langte neben sein Bein – und griff ins Leere. Dort war nichts. Buchstäblich nichts, denn er lag allein im Zimmer. Es war sein Zimmer,
so viel erkannte er
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