Haus der roten Dämonen
Quacksalber letztens bei Julias Großvater benutzt hatte. Jan vermutete, dass es von jenem letzten Besuch stammte, zu dem ihn die alte Frau geholt hatte, bevor Messer Arcimboldo und er ins Haus gegangen waren. »Dann muss es noch frisch sein!«, murmelte Jan vor sich hin.
Contrario öffnete das Fläschchen, schüttete ein paar Tropfen Blut auf die Palette und mischte darin das Rot an, das Jan letztens erst gemörsert hatte.
Blut?, dachte Jan. Wollte das Haus, dass ich das sehe? Dass er Blut verwendet für das Rot seiner Bestien!
Ein schaler Geschmack lag ihm auf der Zunge. Er lehnte sich in der Dunkelheit zurück. Er wollte nicht mehr durch die Öffnung sehen. Im Grunde war es doch egal, was dieser Contrario in seiner Freizeit trieb, solange er die Aufgaben erledigte, die ihm sein Herr auftrug. Und er, Jan, brauchte ihn nicht zu bespitzeln. Einige Münzen nebenbei zu verdienen, war kein Verbrechen. Und ungewöhnliche Mixturen für die Bilder zu verwenden, war auch nicht strafbar. Mancher Maler mischte giftiges Blei in die Farben, damit sie ihre Frische behielten, andere rösteten sie oder verwendeten Quecksilber, Arsen oder Vitriol als Zusatz, allesamt hochgiftig und geeignet, den Künstler umzubringen, bekam er zu viel davon ab.
Wenn Jan darüber nachdachte, war es sogar eine wirklich gute Idee. Schließlich brauchte er selbst auch Geld. Von einer Bezahlung war bislang zwischen ihm und Messer Arcimboldo nicht die Rede gewesen. Wenigstens so viele
Münzen im Sack zu haben, um Julia damit eine Kleinigkeit kaufen und schenken zu können, war ein verlockender Gedanke. Er würde sich einige der Geheimnisse des Adlatus abschauen und selbst zu malen beginnen.
»Hast du mir zeigen wollen, wie man sich ein Zubrot verdient?«, murmelte Jan und tätschelte das Gemäuer.
Plötzlich drückte ihn etwas in den Allerwertesten. Doch es war nicht die Klinke, wie er es sich erhofft hatte, sondern die Wand rückte näher und drückte ihn regelrecht an die beiden Sehschlitze.
»He!«, murmelte er. »Was soll das denn?«
Der Druck ließ nicht nach, und ihm blieb nichts weiter übrig, als erneut durch die Öffnungen zu spähen. Kaum hatte er die Augen an die Wand gepresst, als er zurückfuhr. Ihn hatte eine riesige Pupille angesehen. Offenbar hatte der Adlatus die Sehlöcher entdeckt und spähte jetzt zu ihm herein.
Jan wich in den hintersten Winkel aus, doch das Haus ließ es nicht zu. Es schob sanft, aber bestimmt von hinten und drängte ihn zurück an die Gucklöcher.
Vorsichtig presste er die Augen wieder gegen die Mauer. Diesmal brauchte er keine Angst zu haben. Contrario saß wieder auf seinem Malerstuhl. Nur der Blick aus seinen Augenwinkeln schweifte immer wieder über die Seitenwand, als traue er dem Frieden und der Stille nicht mehr.
Zuerst ließ sich nichts erkennen, was das Drängen des Hauses gerechtfertigt hätte. Contrario schmierte unbeholfen an seinem Bild herum, die Palette schwebte in seiner linken Hand, die Darstellung war noch ebenso kantig und schief … Halt: Jan traute seinen Augen kaum! Die Darstellung war keineswegs mehr kantig und schief. Die Farbe, die Contrario angerührt hatte, veränderte das Aussehen des Tieres. Als würde sich das Bild von selbst malen, als würde
es die Fehler und Unsicherheiten ausgleichen und verbergen. Jan musste zweimal hinsehen. Als der Pinsel über den Schwanz des Tiers glitt, wurde dieser plötzlich so lebensecht, so voller Spannung, als wolle er aus dem Gemälde heraustreten. Jan hatte sogar das Gefühl, als bewege er sich hin und her.
Das war jedoch unmöglich. Bild war Bild und Lebewesen war Lebewesen.
Hätte er eben noch am liebsten den Raum verlassen, drückte er sich jetzt an der Wand mit den Sehschlitzen die Nase platt. Contrario fuhr die Umrisse des Tiers mit einer Leichtigkeit nach, die Jan beängstigte. Es war sichtlich nicht das erste Bild, das er so bearbeitete. Der Adlatus hauchte der Kreatur regelrecht Leben ein.
Je länger Jan von seiner Abstellkammer aus den arbeitenden Adlatus beobachtete, desto gefährlicher geriet das Dämonenwesen, das jener zeichnete. Die Klauen wurden zu spitzen, scharfen Messern, die Zähne zu Dolchen. Das Auge, das sichtbar war, blickte bedrohlich in die Runde, und manchmal erlebte Jan einen gewissen Schauder, wenn er nämlich glaubte, es bliebe auf ihm haften und mustere ihn, obwohl er sich hinter der Wand verbarg.
Langsam löste sich Jan von den Schlitzen. Das also hatte ihm das Gemäuer zeigen wollen. Contrario malte nicht
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