Haus der roten Dämonen
Wie nebenbei hatte sie den Wasserkrug mitgenommen.
Die Straßen waren noch leer. Nur die Feuchtigkeit der Moldau hatte sich auf den Pflastersteinen und an den Hauswänden niedergeschlagen und vermittelte den Eindruck, als hätte es eben erst geregnet. Julia roch die Nässe. Sie spürte sie wie einen dünnen Film auf ihrer Haut, im Gesicht, auf der Kleidung. Die Feuchtigkeit legte sich sogar auf die Lungen und Julia musste nach wenigen Schritten husten. Es würde kein freundlicher Tag werden, eher einer, der ungemütlich unter die Kleidung kroch. Ein Tag, den man am liebsten auf den nächsten verschieben würde, wenn das denn ginge.
Bereits von Weitem sah sie Jan an der Brunneneinfassung stehen. Sie stürmte auf ihn zu und sah, wie er sich über ihre Eile zu freuen schien. Doch er täuschte sich. Sie hatte eine gehörige Wut im Bauch.
»Komm mir nicht mehr unter die Augen, du … du … du Ungeheuer! Wer Mördern hilft, ist selbst ein Mörder!«, schrie sie ihn an, noch bevor sie auf Armlänge bei ihm war. Sie packte sein Hemd an der Brust und stieß ihn gegen die Brunneneinfassung.
Jan rappelte sich wieder auf und hob abwehrend die Arme. »Was habe ich denn getan?«
»Tu nicht so unschuldig!«, fauchte Julia und ihr schwarzer Haarschopf glühte in der untergehenden Sonne. »Großvater ist tot. Und dieser Quacksalber hat ihn auf dem Gewissen.« Ganz nah trat sie an ihn heran, damit er ihren Atem spüren konnte. Mit spitzem Finger stieß sie Jan erneut gegen die Brust. »Du bist ihm zur Hand gegangen. Er
hat das Blut …« Ihr Zischen ging in ein Schluchzen über und wurde unverständlich. Jan stand mit hängenden Armen da und wusste nicht recht, was er mit diesem wütenden und jetzt auch noch heulenden Mädchen anfangen sollte.
»Aber ich weiß gar nicht, was du willst!«, flüsterte er. Mit einer hilflosen Geste versuchte er, ihr einen Arm um die Schultern zu legen und sie an sich zu ziehen. Doch Julia ließ es nicht zu und riss sich los.
»Lass mich!«, fauchte sie. »Er hat das Blut an deinen Meister verkauft! Und du hilfst ihm dabei – diesem, diesem Ungeheuer!« Julia platzte mit ihrem Wissen heraus. Sie beobachtete genau seine Reaktion. Es sollte ihm durch und durch gehen.
Tatsächlich spiegelte sich Bestürzung in Jans Augen. Das gab Julia ein wenig Hoffnung. Langsam schien er zu begreifen.
»Aber …«, stotterte er los.
»Nichts aber!« Sie wollte ihn nicht zu Wort kommen lassen, jede Entschuldigung schien ihr angesichts ihres toten Großvaters überflüssig. »Red dich bloß nicht heraus!«
Jan schluckte. Sie sah, wie er mit sich rang, wie er nach Worten suchte. Seine Lippen bewegten sich lautlos und seine Kiefer schienen zu mahlen. Plötzlich stieß es wild aus ihm heraus. Eigentlich hatte Julia ihm keine Rechtfertigung zugestehen wollen, weder Schwüre noch Entschuldigungen, aber schon von seinem ersten Satz wurde sie regelrecht mundtot gemacht.
»Ich bin erst seit zwei Tagen bei Messer Arcimboldo«, versuchte Jan sich zu wehren. »Und Contrario, so heißt der Adlatus meines Meisters, arbeitet offenbar auch als Bader. Er behandelt schwere Fälle. Ich bin an diesem Tag, als wir bei euch waren, zum ersten Mal mit ihm mitgegangen – und nur von deinem Großvater hat er das Blut mitgenommen.
Er wollte mich nicht einmal dabeihaben, als er es abgezapft hat. Deshalb stand ich doch unten beim … beim Hühnerstall.«
In Julias Augen schwammen sofort wieder Tränen. Einerseits, weil Jan ihr etwas bestätigte, was sie bislang nur vermutet hatte, andererseits weil sie Jan zu Unrecht beschuldigt hatte.
»Warum sollte ich dir glauben?«, fragte sie. Ihre Stimme klang gepresst und kippte.
Jan kaute verlegen auf der Unterlippe. Leise, so leise, dass sie es kaum verstand, sagte er: »Was soll ich dazu sagen? Ich kann es dir nicht verbieten, mir nicht zu glauben. Ich kann nur sagen, es stimmt, was ich gesagt habe.«
Julia trat einen Schritt zurück, um Jan noch einmal genau zu mustern. Er war ein drahtiger Bursche mit einem wirren Haarschopf, schwarz wie ein Stück Kohle. Seine Gesichtszüge wirkten offen, wenn auch eine lauernde Vorsicht über sie gelegt war.
»Seit gestern, sagst du?«
»Seit vorgestern«, korrigierte er sie. »Ich bin … aus Hajeks Waisenhaus«, gestand er ihr zögernd.
Julia hob den Kopf. Eine Welle der Dankbarkeit durchströmte sie und sie schenkte ihm ein schwaches Lächeln. Das erklärte vieles. Sein eher ungepflegtes Aussehen, obwohl er ein neues Hemd und eine neue Hose trug.
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