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Haus der roten Dämonen

Titel: Haus der roten Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Dempf
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standen ihm vom Kopf ab wie die Borsten eines Reisigbesens und selbst sein Ziegenbart hing ihm schief am Kinn.
    »Ich muss wissen, warum Ihr mich vor dem Quacksalber gewarnt habt!«, sagte sie unumwunden.
    »Zu einer christlicheren Zeit konnte Euch das nicht einfallen?«, antwortete der Scholar. »Ihr habt mich geweckt!«
    Julia lächelte. Geweckt hatte sie ihn sicher nicht. Zwischen ihr und ihm schien es eine Art Faden zu geben, an dem sie ziehen konnte.
    »Ich war bei Judah Löw!«, sagte sie ohne Vorwarnung.
    Die Erwähnung des berühmten Rabbi war offenbar etwas, das Jaroslav locken konnte. Er packte sie an der Schulter und zog sie ins Zimmer.
    »Ihr wart bei Rabbi Löw?« Er sah sie fassungslos an. Dann schüttelte er den Kopf. »Unmöglich. Da seid Ihr einem Scharlatan aufgesessen. Der Rabbi empfängt keine Mädchen. Er redet nicht einmal mit ihnen, wenn sie über
seine Schwelle stolpern. Außerdem«, fragte er lauernd, »wo wollt Ihr ihm denn begegnet sein?«
    Julia stemmte die Hände in die Hüften. »Er hat auf mich gewartet. Im Nebel. Danach sind wir zu ihm nach Hause gegangen. Er wohnt in der Nähe der Altneusynagoge.«
    Das Kopfschütteln des Scholars wollte gar nicht mehr aufhören. Immer wieder murmelte er, das sei unmöglich. Er versuche es selbst seit Monaten, nie sei es ihm gelungen, und sie wolle einfach so dem Rabbi in die Arme gestolpert sein. Niemals.
    »Wir haben in das Necro …«, Julia verstummte, nicht weil sie den Namen nicht nennen wollte, sondern weil er ihr einfach nicht über die Lippen ging.
    »Er besitzt das Buch des Abdul Al’hazred?« Jaroslavs Mund klappte auf und ließ sich offenbar nicht mehr schließen. Er sah aus, als wäre durch den offnen Mund sein Verstand ausgelaufen.
    »Jaroslav!« Julia stieß ihn in die Seite. »Ich muss Euch etwas fragen.«
    Sie wartete nicht ab, bis der Scholar den Mund wieder geschlossen hatte, sondern begann einfach ihren Bericht vom Besuch bei Rabbi Löw.
    Als sie geendet hatte, starrte der Scholar sie an, als käme sie geradewegs vom anderen Ende der Welt. Julia machte eine kleine Pause, um den Verstand ihres Untermieters nicht allzu sehr zu belasten. Doch dann musste sie ihre Frage stellen.
    »Braucht der Maler neben seinem eigenen Blut auch noch das von Sterbenden, um das Bild lebendig werden zu lassen?«
    Die Frage reckte sich wie ein belebtes Wesen empor und wuchs mit jedem Augenblick mehr, je länger sie unbeantwortet blieb. Der Scholar setzte an, stockte, setzte erneut an,
stockte wieder und musste sich über den Mund fahren, weil ihm Speichel aus dem Mundwinkel tropfte.
    Er konnte nicht antworten, fand offenbar keine Worte für das, was er sagen wollte. Endlich entschloss er sich zur einzigen Möglichkeit, die ihm in seiner Verblüffung geblieben war: Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Vielleicht! Es gibt das … Gesetz der … Toten.«
    Julia presste die Lippen aufeinander. Sie hatte eine klarere Antwort erwartet. Doch der Scholar hatte ihr noch nie eine eindeutige Antwort gegeben. Die Wissenschaft, hatte er einmal gefaselt, kenne eindeutige Antworten nicht. Es gäbe immer Ausnahmen und Seitenwege. Ein Wissenschafter antworte niemals mit Ja oder Nein, sondern immer mit einem Vielleicht. Sie drehte sich um und wollte aus dem Zimmer schlüpfen. Doch eine Hand des Scholars schnellte vor und packte sie am Oberarm.
    Er räusperte sich. »Ich bräuchte das … ich weiß nicht genau … das Buch … ich kenne nur Abschriften … das Rezept … bei solchen Bildern gilt das Gesetz … die Menschen müssen zwischen Leben und Tod …« Er ließ los, weil er selbst bemerkte, welchen Unsinn er da faselte.
    Doch Julia hatte genau zugehört. Hieß das Buch nicht Ein Bild vom Gesetz der Toten ? Sicherlich handelte es auch von der Zeitspanne kurz davor, die man Sterben nannte. Sie brauchte nur eins und eins zusammenzuzählen, dann war klar, was die Phiole in der Hand des Quacksalbers bedeutete. Er brachte die Menschen um, um an Blut zu kommen, das von einem Sterbenden stammte. Tote hatten kein Blut, Sterbende sehr wohl. Ob Messer Arcimboldo ihn dafür bezahlte? Vermutlich. Und dieser Jan steckte mit dem Kerl unter einer Decke. Gut, dass sie ihn treffen würde. Er würde von ihr etwas zu hören bekommen, dass ihm danach die Ohren klingelten.

    Jetzt gab es für sie kein Halten mehr. Sie schlüpfte aus dem Zimmer und ließ den Scholar einfach stehen. Der würde sich schon wieder fangen. Sie eilte die Treppe hinunter und stahl sich aus dem Haus.

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