Haus der roten Dämonen
leise.
»Mit Blut malt«, ergänzte Jan und presste die Lippen zusammen.
Er hatte ihr vertraut, obwohl sie so garstig zu ihm gewesen war. Wenn sie ihn so betrachtete, schien er kein unrechter Kerl zu sein. Dass er aus einem Waisenhaus stammte, machte die Dinge allerdings schwierig. Ihr Vater würde
ihr den Umgang mit ihm verbieten, wenn er davon wüsste. Doch das war ihr im Augenblick egal. Sie genoss seine Nähe. Mit dem Daumen streichelte er ihr sanft über den Handrücken.
»Judah Löw hat gesagt … nein, er hat in einem Buch gelesen, dass man das Blut Sterbender dazu braucht«, begann sie ebenso zögerlich wie eben Jan. »Damit die Dämonen lebendig werden, braucht es aber auch …«
Jan nickte und wartete auf ihren nächsten Satz, doch Julia konnte kein Wort mehr sagen. Sie konnte nur noch den Mund öffnen. »Jan«, flüsterte sie. »Nicht bewegen. Da ist ein Tier …«
Jan stand ganz nah am Hühnerstall, dessen Dach ein wenig überkragte, damit das Wasser nicht in den Stall lief. Auf der Traufe hinter ihm war eben der Kopf eines rötlich schimmernden Lebewesens aufgetaucht, das sicherlich nicht hierher gehörte: breiter Eidechsenkopf, smaragdgrüne Augen und eine blaue gespaltene Zunge, die vorschnellte und hin und her pendelte. Die Krallen klackten hart gegen das Holzdach.
»Eine Art Eidechse?«, flüsterte Jan. »Die kenne ich.« Julia sah ihn bleich werden.
Sie nickte unmerklich. Der Körper des Tieres schob sich immer weiter vor, die Zehen krallten sich im Dach ein, der Rücken rundete sich. Das Wesen würde springen. Julia wusste es so sicher, dass ihr übel wurde. Es wollte Jan in den Rücken springen. Als würde der Blick der roten Eidechsenschlange sie lähmen, konnte sie nichts sagen, sondern nur auf das Wesen stieren und dabei langsam den Kopf schütteln. Sie bemerkte, wie sich ihre Augen vor Entsetzen weiteten, wie sich ihre Finger in Jans Hand verkrampften. Ein Gefühl der Hilflosigkeit schwappte über sie weg, das ihr den Mund verschloss.
Das Maul des Tieres öffnete sich und zwei lange, spitze Zähne senkten sich aus dem Gaumen herab und stellten sich auf.
»Mein Gott, es will dich beißen!«, rief sie und sprang von der Hühnerleiter auf. Dann schrie sie aus Leibeskräften.
Sie sah noch, wie das Tier vorschnellte und sich auf Jan stürzte. Julia raste an Jan vorbei in Richtung Haus. Sie hatte keine Kontrolle mehr, konnte nicht mehr klar denken, fühlte sich wie in einem Rausch. Sie sprang über alles hinweg, was sich ihr in den Weg stellte, jagte zur Haustür, stieß sie mit der Schulter auf und schlug sie hinter sich zu. Die ganze Zeit über schrie Julia und konnte nicht damit aufhören, bis sie erschöpft und zitternd vor Erregung und Angst auf der Treppe zum Obergeschoss zusammensackte und weinend liegen blieb.
Sie würde Jan nicht mehr wiedersehen. Das Bild, wie die Schlangenechse vorschnellte und sich mit ausgefahrenen Klauen und geöffnetem Rachen auf Jans Rücken stürzte, um ihm die Zähne in den Nacken zu schlagen, wollte nicht verblassen. Sie sah ihn sich wehren, sah bläuliche Blitze zucken und hörte ein Surren wie vor einem starken Gewitter.
Was war das nur für eine grausame und verkehrte Welt geworden, seit Großvater gestorben war?
13
Tödliche Fantasie
J an zitterte immer noch. Das Vibrieren seiner Hände wollte gar nicht mehr nachlassen. Vor ihm auf dem Boden lag ein Wesen, dem er schon einmal hier begegnet war: die Eidechsenschlange.
Mit dem Absatz seines Schuhs drückte er dem Tier die Kehle ab, während er darüber nachzudenken versuchte, woher die Bestie gekommen sein konnte und warum er diesen Angriff überlebt hatte. Die Schwanzspitze der Eidechsenschlange zuckte noch, doch das Leben schien langsam aus dem Tier zu fließen. Unter den Sohlen seiner Holzschuhe prasselte es und blaue Funken sprühten über den lehmigen Boden, zuckten hin und her und peitschten einige verlorene Hühnerfedern hoch.
Wie gebannt betrachtete er dieses Farbenspiel, und er hätte gern den Fuß gehoben, um zu sehen, ob dann diese feinen Blitze nachgelassen hätten. Doch er getraute sich nicht. Vielleicht wäre sonst die Lebensenergie in die Schlangenechse zurückgekehrt.
Endlich beruhigte sich das Prasseln. Nur noch vereinzelt schossen feine blaue Adern über die Erde, dann verstummten sie endgültig.
Jan hob vorsichtig den Fuß, doch die Schlangenechse rührte sich nicht mehr. Sie war tot.
Jetzt erst bemerkte er, wie heftig er atmete. Seine Lungen pumpten wie wild. Langsam
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