Haus der roten Dämonen
gesehen, dass die Oberfläche zuerst leer gewesen war.
Ein Brüllen riss ihn aus seinen Gedanken. Messer Arcimboldo tobte.
»Was tut Ihr da, Meister?«, kreischte Contrario. »Das könnt Ihr nicht tun, das dürft Ihr nicht tun!« Contrarios Stimme überschlug sich. Ein Klatschen folgte, ein Wimmern, dann erneut ein Schrei der Wut.
»Dir werd ich’s austreiben, das Herumschmieren. Weißt du denn nicht, was du mit deinem Unverstand anrichtest? Umbringen könntest du uns alle. Mich, den Jungen, dich selbst. Herrgott noch mal! Lass deine Finger davon!«
Im selben Moment hatte sich Jan entschieden: Er würde bleiben und diesem merkwürdigen Haushalt und seinen furchtbaren Geheimnissen auf den Grund gehen.
Unauffällig schlich er sich aus der Sichtweite des Obergeschosses, umrundete das Haus und betrat es durch den Haupteingang. Er brauchte kein Wort zu murmeln, nicht mit dem Finger zu schnipsen oder sonst etwas Geheimnisvolles zu tun – die Tür öffnete sich, als er vor ihr stand, und er schlüpfte hinein.
Im Vorraum herrschte nach dem Geschrei und Gestreite von eben eine unwirkliche Ruhe. Jan blieb zunächst im Windfang stehen und betrachtete die Wandfarbe, die sich langsam in ein sattes Gelb verwandelte, sich weiter verdüsterte und eindunkelte, als würde die Farbe seinen düsteren Gedanken folgen wollen.
Dann hörte er Schritte. Jemand kam langsam die Treppe herab. Es war nicht schwer zu erraten, wer die Person war.
Jan holte tief Luft und trat in den Vorraum hinein. Ein Blick auf die Treppe bestätigte ihm seine Vermutung. Mit völlig zerstörter Frisur, rot geschwollener Backe und leichenblass stand der Adlatus am Fuß der Treppe. Seinem Blick konnte Jan nicht entnehmen, ob er erschrocken oder verärgert war, Jan zu sehen.
Contrario warf kurz den Kopf in den Nacken und musterte ihn scharf.
»Junge, du kommst mir gerade recht«, krächzte er. Seine Stimme klang noch etwas rauer als sonst. »Hilf mir!«
Er wartete nicht ab, ob Jan zustimmte oder nicht, sondern drehte sich um, schlurfte hinkend auf die Tür unter der Treppe zu, in der die Pigmente gelagert waren, und wartete kurz im Türrahmen, bis Jan ihm nachfolgte. Sie betraten die Mischerwerkstatt.
»Blau aus Lapislazuli«, hauchte Contrario und stellte
ihm ein Gefäß hin, fischte daraus mit den Fingern einen Kristall und legte ihn in eine Schale. »Dazu ein weiches Rot und ein giftiges Gelb. Wobei zu beachten ist, dass das Gelb tatsächlich krank macht. Du darfst nichts davon auf die Finger bringen und schon gar nicht an die Lippen.« Das Gesicht des Adlatus verzog sich dabei zu einer Fratze, als wolle er andeuten, dass er in Jans Fall über ein solches Versehen nicht unglücklich wäre.
Contrario hantierte mit weiteren Gläsern und Schalen und stellte sich dann mit hinter dem Rücken verschränkten Armen neben Jan.
Jan musterte den Adlatus aus den Augenwinkeln. Der stand da, als wolle er ihm etwas mitteilen, als suche er nur nach dem richtigen Augenblick, den richtigen Worten. Sein Mienenspiel spiegelte den inneren Kampf mit etwas, was ihm nicht über die Lippen wollte.
»Was hat dir Messer Arcimboldo bislang gezeigt?«, begann er plötzlich, während Jan unermüdlich mit dem Stößel arbeitete, und starrte ihn an, als wollte er ihn verhören. Doch er erwartete offenbar keine Antwort auf seine Frage, denn er fuhr augenblicklich fort: »Hat er dir gezeigt, wie man mit dem Haar eines Dachses feinste Falten zeichnet? Nein! Wie man einen Himmel malt, der so voller Regenwolken hängt, dass man die Feuchtigkeit, die darin schwimmt, riechen kann? Nein, mein Junge. Wie man aus dem Saft des Lebens, aus Blut, ein Rot macht, das regelrecht pulsiert? Wiederum und zum drittem Mal Nein.«
»Ein Rot aus dem Blut von Menschen?« Jans Augen wurden zu Kugeln. Er hatte also nicht fantasiert. Sein Meister benutzte tatsächlich Menschenblut.
»Ein Rot wie der Lebenssaft selbst!«, spottete Contrario, atmete tief ein und schnaubte durch die Nase aus, als müsse sein gesammelter Unmut hinausgeblasen werden. »Das hat
er dir nicht gezeigt. Ich aber, ich, Contrario, werde dir zeigen, wie man Bilder malt, die Menschen bewegen.«
Jan wollte schon den Mund öffnen und dem Adlatus mitteilen, dass er wohl gar nichts mehr würde zeichnen und malen dürfen, denn Messer Arcimboldo habe es verboten, doch er unterließ es lieber und verschluckte seine Frage.
»Wann wollt Ihr es mir zeigen?«, fragte Jan.
»Sofort!«, entschied der Adlatus. »Jetzt sofort!« Er berührte
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