Haus der roten Dämonen
bildete er sich auch die Stimme nur ein.
»Natürlich, ich bilde mir alles nur ein!«, sagte er sich leise vor und wurde rüde unterbrochen.
»Quatsch! Das Vieh ist echt!«
Drei Köpfe saßen auf den Schultern des Wesens. Der Rücken fiel nach hinten etwas ab. Es war auf eine rötliche Art sandfarben, und um die Hälse legten sich Hautkragen, die sich bestimmt bei Angriff oder Gefahr aufstellen ließen. Mit seinen weichen Pfoten bewegte es sich beinahe lautlos und geschmeidig durch die Gasse und schnüffelte an den
farbigen Pforten der Häuser. Jan kannte dieses Wesen gut. Zu gut. Es war das Tier, das er selbst in einem Anflug von Übermut und völlig dilettantisch auf Contrarios Leinwand skizziert hatte, ein dreiköpfiger Leu. Und das Tier sah keineswegs aus, als wäre es missglückt. Im Gegenteil, es war wirklicher, als ihm lieb war – und von einer geradezu gefährlichen Schönheit. Aber das war unmöglich. Jan rieb sich die Augen. Das konnte es nicht geben. Erst jetzt ging ihm auf, wie sehr er zitterte. Wenn die Kreatur nur annähernd die Fähigkeiten besaß, die er ihr hatte mitgeben wollen, dann schwebte er in Lebensgefahr. Jan fühlte, wie sich sein Atem beschleunigte und seine Beine immer wackliger wurden.
»Jetzt komm schon, Söhnchen!«, trieb ihn die Stimme an, deren Lücken er wie von selbst ergänzte. Jan störte es plötzlich nicht mehr, dass man ihn Söhnchen nannte. Er griff nach der Hand des Unbekannten, und der zog ihn aus dem Goldenen Gässchen hinein – in das Goldene Gässchen! Es waren dieselben Häuser, es war dieselbe Straße, nichts war verändert, weder war etwas hinzugefügt noch etwas weggenommen worden. Sogar der Schmutz der Gasse war derselbe.
»Was …?«, stotterte Jan. »Warum …?«
Vor ihm stand ein Mann mit schlohweißem Haar. Hätte Jan dessen Alter schätzen sollen, er hätte sechshundert Jahre gesagt und dabei das Gefühl gehabt, sich maßlos zu verschätzen. Nach unten hin. Die Wangen des Uralten waren eingefallen und er besaß tatsächlich kaum mehr einen Zahn im Mund.
»Wer … seid …?«
»Al’o je’z”ör zu, Sö’nch’n. Bevor ich eine deiner Fragen beantworten soll, musst du sie vernünftig stellen. Da ich weder glaube, dass du debil bist, noch annehme, dass du nicht sprechen kannst, führe ich dein Stottern auf die augenblickliche
Situation zurück. Mir ist das alles auch nicht geheuer.«
»Da ist ein Tier!«, sagte Jan und deutete – nach irgendwohin, denn sehen konnte er es nicht mehr. Was ihn maßlos verblüffte, denn die Straße stand ja auch noch vor ihm, so wie er sie gesehen hatte, bevor er … Er hatte doch keine Wahnvorstellungen, oder? Sofort ging sein Blick nach oben. Er prüfte die Mauerkrone, den Umlauf, die Dächer – nichts. Der dreiköpfige Löwe fand sich weder auf einem der Traufendächer noch auf dem Wehrgang. Er blieb verschwunden, was Jan im Augenblick nicht unangenehm war.
Der Uralte dagegen starrte wie gebannt auf die Mitte der Straße. »Sei froh, dass ich dich dort herausgeholt habe«, murmelte er. »Das Vieh ist nicht gut aufgelegt, ja geradezu unfreundlich. Es sucht etwas oder jemanden.« Der Uralte starrte ihn unverwandt an. »Kann es sein, dass es nach dir sucht?« Die Augen des Alten standen im größten Gegensatz zu seinem Äußeren. Sie strahlten, als gehörten sie einem Jugendlichen, und waren voller Neugier und Wissensdurst.
Jan schüttelte nur den Kopf. Unmöglich. Was sollte es von ihm wollen? Langsam kam sein Verstand wieder zum Laufen.
»Ich war doch eben schon im Goldenen Gässchen! Wie … komme ich … hierher?«
Der Uralte antwortete nicht, sondern stand nur da und blickte ins Leere, als suche er etwas. Dann wandte er sich abrupt zu ihm um.
»Bevor ich dir antworte, sollten wir dafür sorgen, dass du die Antwort noch erlebst, Sö’nch’n.«
Er packte Jan an seinem verdreckten Kittel und zog ihn von der Straße weg in das Haus hinein, das Jan schon einmal zu betreten versucht hatte. Diesmal hörte er keine Stimme, und die Tür schlug auch nicht einfach zu, sondern
der Uralte verriegelte sie sorgfältig hinter ihnen. Noch während er hinter dem Uralten herstolperte, der sich als überaus flink erwies, begann dieser zu reden. »Ich fürchte, das wird nicht reichen.«
Jan achtete nicht darauf, sondern sah sich um. Das Haus musste schon gestanden haben, als es den Hradschin noch gar nicht gegeben hatte, so verwittert und grau schienen die Holzbalken. Er fühlte das Alter geradezu körperlich.
»Hier lebt
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