Haus der roten Dämonen
Dämon weiter so wütet, wird er bald die Stadt beherrschen«, warf Rabbi Löw ein.
»Und wer den roten Dämon beherrscht, kann sich zum Kaiser aufschwingen«, ergänzte Julia.
Judah Löw hob überrascht den Kopf. »So habe ich das noch nicht gesehen. Der Adlatus als neuer Kaiser!« Er pfiff durch die Zähne. »Seine Majestät Contrario I.«
Jan musterte angestrengt den Boden, als fänden sich dort die Antworten auf ihr Problem. Julia spürte, dass er ihnen etwas verschwieg.
»Wir müssen den Kaiser warnen«, sagte Jan. »Dafür brauchen wir einen Mann. Uns Kinder wird niemand auch nur vorlassen.« Jan sah ernst von Julia zu Rabbi Löw. »Nicht in diesem Aufzug.«
Julia grinste, als sie an sich heruntersah und sich vorstellte, wie sie mit den Decken, in die sie gewickelt worden war, vor den Kaiser trat.
»Warum den Kaiser?«, fragte der Rabbi.
Jan räusperte sich. »Weil der Leu, aber auch die Chimäre und vermutlich weitere Tiere nur für den Festumzug geschaffen wurden. Das muss aufhören. Es kann aber nur aufhören, wenn der Kaiser den Umzug absagt.« Jan stockte und kaute auf seiner Unterlippe. »Ich habe heute gesehen, was der Leu mit einer Jagdgesellschaft angestellt hat.« Rasch und dennoch stockend berichtete Jan von seinem Erlebnis im Hirschgraben, von den vielen Toten und dem Massaker am Jagdwild.
»Mein Gott«, entfuhr es Julia.
»Noch ein Grund mehr, euch auf die Straße zu setzen. Wenn dieses Monstrum mit seinen drei Köpfen weiter sein Unwesen treibt, wird es nicht lange dauern, bis die Juden mit ihm in Zusammenhang gebracht werden.«
Jan schüttelte heftig den Kopf. »Das glaube ich nicht. Bislang tobt es sich nur auf der Kleinseite aus.«
»Allein das wäre schon ein Beweis. Das Untier lässt die Judenstadt in Ruhe. Folglich wurde es von den Juden geschickt!« Der Rabbi sah Jan ernst an. »Ich übertreibe nicht. Immer wenn man einen Sündenbock sucht, findet man die Juden.«
»Aber wir können nicht zum Kaiser!« Julia stampfte mit dem Fuß auf.
»Warum? Du arbeitest doch für ihn!«, sagte Jan erstaunt.
»Nur aushilfsweise. Außerdem: Wir sind … keine Erwachsenen.«
Rabbi Löw drehte sich zu ihr um. »Ihr habt recht. Kaum jemand wird zum Kaiser vorgelassen.«
Julia verdrehte nur die Augen. »Wie soll es uns dann gelingen?«
Ein Rumoren hinter dem Vorhang forderte ihre Aufmerksamkeit. Alle drei starrten gebannt auf den Vorhang, der sich bauschte und bewegte.
»Das Necronomicon ?«, fragte Julia.
Langsam nickte der Rabbi. Er trat zum Vorhang und zog ihn zurück. Das Buch hatte sich bereits halb aus dem Regal geschoben und hopste, drückte und wand sich.
»Als wäre es lebendig!«, sagte Jan, der den Blick nicht mehr von dem schrundigen Ledereinband nehmen konnte.
»Es ist lebendig«, sagte Julia leise zu ihm und fasste seine Hand. Rasch schlossen sich Jans Finger um Julias warme Hand.
Der Rabbi seufzte, als wäre ihm das Gebaren des Buches unangenehm und das der Kinder noch unangenehmer. »Ihr müsst mich allein lassen. Das Buch will mir etwas zeigen. – Oder aber bleibt hier, es könnte auch eine Botschaft für euch sein. – Wer weiß das schon bei diesem verrückten Werk?«
Julia sah vom Buch zum Rabbi und dann zu Jan, dessen Mund halb offen stand. So musste sie auch ausgesehen haben, als sie das Buch zum ersten Mal gesehen hatte.
Der Rabbi trat ans Regal und packte den Band, zog die Kette lang, an der es befestigt war, und legte es auf das Pult. »Zurück!«, rief er.
Jan wollte eben ansetzen und etwas fragen, aber Julia legte ihm die andere Hand auf den Arm und schüttelte leicht den Kopf. Dabei rutschte ihr die Decke über die Brust
herab und Jan schaute verlegen beiseite. »Du darfst nicht in das Buch hineinsehen. Versprich es mir!« Als Jan mit den Schultern zuckte, drückte sie mit der Hand fest zu. »Glaub mir, du bist sonst verloren.«
Judah Löw öffnete die Schnallen. Kaum waren die Deckel befreit, krachten die hölzernen, mit Leder bezogenen Umschlagseiten auf den Tisch und ein rasendes Blättern setzte ein. Endlich hielt es an einer Stelle inne. Der Rabbi musste weder die Seiten beschweren noch blätterte das Buch weiter. Es blieb aufgeschlagen liegen. Still und regungslos, als wäre es nichts weiter als ein gewöhnlicher Kodex. Julia wagte einen hastigen Blick. Was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Auch der Rabbi wurde um mehrere Nuancen blasser als sonst.
»Es will einen Golem formen lassen«, sagte er tonlos.
»Einen was? Und warum
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