Haus der roten Dämonen
Kopf stand Jan in der Ecke des Raums, ein Häuflein Elend. Julia tat er derart leid, dass sie aufsprang und zu ihm hinlief. Dann nahm sie ihn einfach in den Arm, ohne darauf zu achten, dass ihre Decke zu rutschen begann.
»Ich wollte dich nicht kränken!«, sagte sie leise und trat auf ihn zu. Sie nahm ihn in den Arm und presste sich gegen ihn, damit ihr die wärmende Decke nicht ganz von den Schultern glitt. Aber auch das hätte ihr nichts mehr ausgemacht. Sie fühlte, dass sie einen zutiefst verstörten und verunsicherten Jungen im Arm hielt, der sie und ihre Nähe jetzt brauchte.
Jan stand steif wie ein Brett, doch Julia hielt ihn einfach stumm fest. So standen sie eine ganze Weile, stumm und nur erfüllt von ihrer Nähe. Langsam begann Jan aufzutauen, wurde sanfter und biegsamer, wandte sich wieder ihr zu. Dann endlich hob er den Kopf und nickte beinahe unmerklich. »Schon gut.« Er knetete seine Lippen zwischen den Zähnen, dann musste er unvermittelt lachen. »Du verlierst deine Decke, Julia.«
Sie sah hinter sich und bemerkte, dass ihr Hintern bereits blank dalag und zu sehen war. Sie grinste. Rasch griff sie nach ihrem Tuch und bedeckte sich wieder.
Jan atmete durch. »Das Mal«, sagte er stockend, »habe ich von Mutter geerbt. Sie besaß ein ähnliches Zeichen auf dem Rücken. Sie wurde deswegen …« Er schluckte mehrmals, dann sagte er fest: »Sie wurde als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«
Rabbi Löw nickte, als hätte er diese Enthüllung erwartet.
»So ist das also.« Er hielt in seinem Lauf inne und sah Jan direkt an. »Wann war das?«
»Vor knapp sieben Jahren«, sagte Jan leise.
»Das würde passen.« Der Rabbi setzte sich nun seinerseits auf den Stuhl hinter dem Tisch.
»Was würde passen?«, fragte Julia nach, die bislang stumm zugehört hatte.
Wie aus einer Trance wachte der Rabbi auf und sah sich um. »Nichts, ich habe nur laut gedacht.«
Julia bemerkte, wie Jan plötzlich hellwach den Rabbiner musterte. »Was wolltet Ihr sagen? Ich muss es wissen.«
»Eine dumme Bemerkung, die mir so herausgerutscht …«, versuchte der Geistliche sich zu rechtfertigen, doch Jan unterbrach ihn rüde.
»Es hat mit Messer Arcimboldo zu tun, nicht wahr. Was hat er getan? Was wisst Ihr? Sagt es mir … bitte!« Das letzte Wort war gehaucht und so voller Erwartung und Hilflosigkeit, wie Julia es selten zuvor gehört hatte.
Doch der Rabbi zeigte kein Mitleid. Er musterte die beiden Jugendlichen nur. »Ihr müsst alle beide fort von hier.«
»Aber warum denn? Wir … ich dachte, Ihr würdet uns helfen.« Empört stand Julia auf. »Warum seid Ihr zu uns ins Haus gekommen, wenn Ihr nicht helfen wollt?«
Julia bemerkte erstmals eine gewisse Verlegenheit in Judah Löws Verhalten. Er knetete die Hände und presste die Lippen aufeinander.
»Ich habe nicht nur an euch zu denken, Julia. Ich muss an mein Volk denken.« Er stand auf und setzte seinen Gang durchs Zimmer fort. Dabei kehrte er immer kurz vor dem Vorhang um. »Ich hatte geglaubt, der Student würde mit seiner Vision uns Juden eine Warnung zukommen lassen. Dabei war sie nur für dich bestimmt.«
»Rabbi Löw?« Julia blickte dem Geistlichen nicht in die Augen. »Woher kommt dieses Wesen?«
»Ihr wisst es«, sagte der Rabbi. »Beide wisst ihr es. Jemand malt die Tiere und macht sie lebendig. Dazu benötigt der Maler Blut. Blut und … etwas anderes, was ich nicht kenne. Vermutlich das Blut, den Speichel oder … ich weiß es nicht … eines Menschen, der über eine äußerst seltene Fähigkeit verfügt: Tiere lebendig werden zu lassen.«
»Messer Arcimboldo kann es!«, sagte Jan. »Ich habe es gesehen.«
Plötzlich war Stille im Raum, Julia hörte nicht einmal den Rabbi mehr atmen. Nur ein Scharren hinter dem Vorhang störte.
»Und vermutlich Contrario, sein Adlatus«, ergänzte Jan und zog seine Decke enger um sich. »Er besorgt das Blut. Sie haben sich deswegen gestritten. Messer Arcimboldo hat mir gezeigt, wie es geht. Er hat ein Bild mit Firnis bestrichen und die Vögel darin begannen zu leben.« Jan sprach leise und ohne Betonung. Julia verstand sehr wohl, wie schwer es ihm fiel, seinen Meister zu verraten, denn nichts anderes tat Jan in diesem Augenblick. »Außerdem«, er räusperte sich erneut, als hätte ihm die Wahrheit die Kehle ausgedörrt, »sollen viele dieser Wesen in einem Festzug mitlaufen. Zum Gaudium des Kaisers.«
Julia unterbrach ihn. »Der Leu ist kein Gaudium mehr. Er ist ein Ungeheuer. Ein Dämon.«
»Wenn dieser
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