Haus der roten Dämonen
Abenteuer im Wasser in den schrecklichsten Bildern malte. Währenddessen ging der Rabbi langsam auf und ab und fuhr sich beständig mit der Hand über den Bart.
»Du bist dir sicher, dass dich das Wesen verletzt hat, Jan?«
Jan nickte. »Am Rücken. Ich habe gespürt, wie die Kralle durch mich hindurchging.«
Der Rabbi trat auf ihn zu und zog die Decke von seinen Schultern. Dann prüfte er den Rücken. Julia schielte neugierig um ihn herum.
»Hier gibt es keine Wunde, keinen Einstich, nicht einmal mehr Blut«, sagte der Rabbi.
»Das ist unmöglich«, antwortete Jan. »Ich … die Klaue hat mich regelrecht durchbohrt. Es hat schrecklich wehgetan.« Jan versuchte mit einer Hand, zu der Stelle zu gelangen, die verletzt gewesen war.
»Er hat geblutet. Und zwar stark!«, betonte Julia.
»Möglich ist vieles«, murmelte der Rabbi in seinen Bart. »Wenn dort je eine Wunde gewesen ist, dann ist sie jedenfalls
verschwunden – oder es war nie eine Verletzung vorhanden.« Nachdenklich ließ der Rabbi die Hand über Jans Schulter gleiten.
»Aber das ist unmöglich!« Jan versuchte, sich die Stelle anzusehen, wo er verletzt gewesen war, und verdrehte sich dabei vollständig. »Auf meinem Hemd müssten Blutspuren zu finden sein.«
»Dein Hemd war nass, mein Junge, aber nicht blutig«, widersprach der Rabbi. Dann blieb seine Hand auf einer Stelle liegen, die Jan unangenehm war. Er zuckte sofort zurück. »Woher hast du das Mal, Junge?«, fragte der Rabbi ruhig, aber er betrachtete das Zeichen genau und fuhr mehrmals mit der Fingerkuppe des Zeigefingers darüber, als lese er eine fremde Botschaft.
Jan schwieg und senkte wieder den Kopf.
»Er sagt, er hätte es von seiner Mutter«, meinte Julia.
Jan warf ihr einen vernichtenden Blick zu. »Das geht niemanden etwas an«, zischte er. Demonstrativ zog er die Decke hoch.
»Ich finde zwar auch, dass man die Geheimnisse seiner Freunde nicht ausplaudern sollte, auch wenn einem danach ist«, tadelte der Rabbi und Julia schlug sofort die Augen nieder, »doch hier ist es wichtig, Jan.« Er strich mehrmals seinen weißen Bart entlang, als wollte er nicht aussprechen, was er dachte. »Du hast etwas von einem blauen Feuer oder von blauen Blitzen erzählt.«
Jan nickte, war jedoch nicht mehr so gesprächsbereit. An seiner statt antwortete Julia: »Der Boden war ganz davon übersät. Mir haben sie nichts getan.«
Rabbi Löw hob den Kopf. »Stimmt das, Junge?«
Mürrisch nickte Jan. »Es stimmt – und es ist mir nicht das erste Mal passiert. Bei Julia bin ich von einer Schlangenechse oder etwas Ähnlichem angegriffen worden. Es hat geblitzt
und dann ist das Tier einfach abgefallen. Aber es war nicht tot. Später ist es dann verschwunden … und jetzt das mit dem Leu.«
Der Rabbi schwieg lange und lief dabei mit gesenktem Haupt auf und ab. Julia wurde schon ganz ungeduldig. Endlich blieb er stehen.
»Es kann nicht anders sein. Offenbar bist du gegen die Gewalt dieser Wesen gefeit.«
»Was bin ich?« Jan hob die Augenbrauen.
Der Rabbi schmunzelte. »Sie können dir nichts anhaben, dich nicht verletzen. So vermute ich es jedenfalls. Ich weiß allerdings nicht, warum das so ist.«
Julia setzte sich auf den Stuhl, auf dem sie zuvor schon einmal gesessen hatte. Ihr Blick fiel auf den Vorhang, hinter dem das Necronomicon verborgen war. Sie glaubte, eine Bewegung des Vorhangs bemerkt zu haben. Offenbar rumorte das Buch dahinter und wollte befreit werden.
»Es hat nichts mit dem Mal zu tun!«, warf Jan ein. »Gar nichts.«
Rabbi Judah Löw wiegte mit dem Kopf hin und her. »Möglicherweise. Möglicherweise aber doch.«
Jans Gesicht wurde zu Stein. Julia wunderte sich, warum er so abweisend und schroff reagierte. »Du solltest froh sein, dass du von irgendjemandem beschützt wirst. Stell dir vor, die Klaue …«
»Halt den Mund!«, blaffte Jan sie scharf an und in seinem Gesicht spiegelte sich etwas Entsetzliches, eine Mischung aus Hass und Angst, aus Trauer, Verstörung und Verletztheit. Julia wurde bewusst, dass sie bis auf den Grund von Jans Seele vorgestoßen war, ohne es zu beabsichtigen, und ihm dabei wehgetan hatte.
Der Rabbi ging auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Du brauchst keine Angst zu haben. Kein
Mensch wird das Geheimnis deines Mals ausplaudern. Allerdings sollten wir dennoch darüber nachdenken, denn es bewahrt dich vor etwas, was uns allen zustoßen könnte: nämlich vor dem Tod durch diese Wesen.«
Mit zusammengepressten Lippen und gesenktem
Weitere Kostenlose Bücher