Haus der roten Dämonen
lautlos die Worte: »Sei still!«
Jan verzog den Mund und verschränkte beleidigt die Arme.
Der Rabbi hatte inzwischen die Uschebti-Figur aus dem mit Samt usgeschlagenen Kästchen genommen und aufgestellt.
»Der Spruch hier ist das Besondere. Wenn ihr ihn aufsagt und dem Uschebti ins Ohr flüstert, wird er lebendig und erfüllt euren Wunsch.«
»Wirklich?« Julia sah die bläuliche Fayence-Figur mit großen Augen an. Sie wirkte so tot. Dabei war ihr Gesicht fein gezeichnet, als hätte ihr Schöpfer der Dienerfigur ein individuelles Leben einhauchen wollen.
»Nur einen kleinen Nachteil hat das Ganze«, grummelte der Rabbi. »Sie dient nur einen Tag und eine Nacht. Dann verschwindet sie.«
»Wohin verschwindet sie?«, hakte Julia nach.
»Sie löst sich in Rauch auf. Vermutlich weil sie so unendlich alt ist. Ich hatte einmal eine ganze Sammlung Uschebtis. Diese hier ist die Letzte.« Der Rabbi sah auf. »Ihr müsst vorsichtig sein: Wenn sie zerbricht, ist sie unwirksam.«
Jan verzog ungläubig die Mundwinkel, während Julia die blaue Figur berührte und streichelte. Sie war rau und glatt zugleich, als wäre beim Brennen Sand aufgeweht worden und hätte die Glasur bestäubt.
»Jan, ich gebe dir die Figur. Gib gut darauf acht«, sagte der Rabbi und reichte Jan den Uschebti. Nur zögernd griff Jan zu. Er musste seinen Arm aus der Decke holen, was so
einfach nicht war. »Und dir, Julia, flüstere ich die Formel ins Ohr. Sobald du sie laut aufsagst, wird der Uschebti lebendig. Er wird alles für den tun, der ihn zum Leben erweckt hat.«
»Was wird uns dieser Zwerg schon helfen können?«, maulte Jan.
»Warte nur ab, Junge. Du wirst dich wundern. Es ist noch niemals nur auf die Größe angekommen, wenn man Dinge bewegen wollte.«
Verlegen blickte Jan zu Boden, während der Rabbi Julia die Formel ins Ohr flüsterte, mit der das Wesen belebt werden konnte.
21
Kerkerluft und Höllenatem
S ie hatten nur kurz geschlafen. Mit dem ersten Morgengrauen hatten Jan und Julia sich bei Rabbi Judah Löw bedankt, sich verabschiedet und waren zum Hradschin aufgebrochen. Bereits auf dem Weg dorthin spürten sie die helle Aufregung in der Stadt. Prag vibrierte. Überall waren die Spuren der nächtlichen Raserei des dreiköpfigen Ungeheuers zu sehen. Ganze Häuser waren eingedrückt worden, die Karlsbrücke war beschädigt, Kutschen lagen zerschlagen in den Gassen, das Pflaster schien an einigen Stellen aufgerissen zu sein, tiefe Kratzspuren fanden sich an den Fassaden. Die Menschen standen fassungslos vor den Schäden an ihren Gebäuden oder schwatzten über die nächtlichen Geräusche und das Tier, das angeblich viele mit eigenen Augen gesehen hatten. Andere knieten am Boden, beugten sich
über Leichen, heulten und klagten. Beim Anblick der Toten traten auch Jan die Tränen in die Augen, und er musste mehr als einmal die Zähne zusammenbeißen, um nicht selbst in Weinen auszubrechen. Er packte den Uschebti in seiner Hosentasche fester und hätte ihn dabei beinahe zerbrochen.
Vom Leu selbst war nichts zu sehen. Er schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein.
Der Weg hoch zum Hradschin war von Soldaten bewacht, die alle Passanten kontrollierten und niemanden zum Kaiserpalast durchließen.
»Das ist ja eine schöne Bescherung!«, fluchte Jan, als sie an einer solchen Kontrollstelle nicht durchgelassen wurden. Er war verärgert, weil sie nicht weiterkamen, sondern zurückgedrängt wurden.
»Ist es wegen der Hirschgarten-Jagd? Habt ihr wegen dem Leu die Hosen voll?«, fuhr er eine der Wachen wütend an.
Jans Fragen waren eher harmlos, lösten jedoch in den Augen der bunt gekleideten Wachen eine Art Alarm aus.
»Woher weißt du das?«, fragte einer der Männer, seinem holprigen Tschechisch nach offenbar ein Schweizer, der in den Diensten des Kaisers stand.
»Weil ich es gesehen habe. Ich war im Graben! Ich habe sogar den Kaiser gerettet«, raunzte Jan die Wache an. »Lasst uns durch, wir haben Rudolf II. etwas zu sagen.«
»Das hast du, mein Junge«, sagte der Schweizer. Auf einen Wink hin traten zwei weitere Mannen aus der Absperrung und packten Jan, bevor dieser wusste, wie ihm geschah.
»He!«, versuchte er sich zu wehren. »Ihr sollt mich nicht festnehmen, sondern zum Kaiser führen. Finger weg!« Er begann, mit den Beinen zu treten, wand sich wie eine Schlange und schrie aus Leibeskräften, doch den Kräften
der Schweizer hatte er nichts entgegenzusetzen. »Lasst mich los. Ich muss zu Kaiser Rudolf.«
Sie schleppten
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