Haus der roten Dämonen
heraus.
Als er diesen Entschluss gefasst hatte, öffnete er die Augen, die sich jetzt leicht an die karge Helligkeit gewöhnten.
»Wer seid Ihr?«, fragte er den an Ketten geschmiedeten Kerl, der mit seiner Körperlänge die halbe Zelle ausfüllte. Doch der Mann antwortete nicht sofort.
»Genügt es nicht, dass ich dich kenne?«, knurrte er plötzlich wie aus dem Nichts und Jan schauerte es den Rücken hinunter.
Julia wusste sich keinen Rat mehr und setzte sich auf eine der erhöhten Türschwellen. Sobald sie sich niedergelassen hatte, liefen ihr die Tränen. Ob vor Erschöpfung oder vor Zorn oder vor Enttäuschung, wusste sie selbst nicht zu sagen und vermutlich kam alles einfach zusammen und war zu viel. Sie barg das Gesicht in den Händen, und nur ab und zu sah sie auf, weil sie sich die Handflächen abwischen musste.
Julia spürte die Berührung als leichtes Kitzeln. Mit ihrer Rechten wischte sie sich den Tränenschleier aus den Augen, um besser sehen zu können. Neben ihr saß ein Kater und schnurrte sie an. Sein Fell schimmerte ins Rötliche. Groß war er und ein wenig unheimlich, weil er sie mit Augen ansah, denen offenbar die Pupille fehlte. Die Augenfarbe schillerte wie eine Öllache in den verschiedensten Farben. Als er
den Mund leicht öffnete, entblößte er dünne gelbe Zähne wie Kammzinken.
»Wer bist du denn?«, fragte Julia und streckte die Hand nach ihm aus. »Kenn ich dich nicht?«
Der Kater stand auf, kam näher, strich um ihre Beine und rieb sich an ihrer Wade. Dabei schnurrte er sein Behagen heraus, was allerdings wirkte wie drohendes Grollen. Endlich drehte er sich ganz zu Julia um und steckte seinen Kopf in ihre geöffnete Hand, wohl um zu zeigen, dass er ihr vertraute. Dann schnellte eine blaue, gespaltene Zunge hervor und leckte ihre Finger.
»Du bist doch das Tier, das bei Marga in der Küche unter dem Arbeitstisch gesessen hat«, sagte sie, packte den Kater im Nacken und legte ihn sich auf den Schoß. Das Tier ließ es mit sich geschehen. »Ich will nur sehen, wie es deiner Wunde geht«, murmelte Julia.
Sie kraulte das Fell und betastete die Seite, die verletzt gewesen war. Vom Kratzer dort war kaum mehr etwas zu erkennen.
»Das geht ja schnell bei dir«, murmelte sie verwundert.
»Das liegt in unserer Natur«, hörte sie plötzlich jemanden sagen.
Julia versteifte sich. Hatte sie sich eben verhört? Sie sah sich um. Der Kater saß auf ihrem Schoß, hielt die Augen geschlossen und schnurrte. Ansonsten war die Gasse leer. Keine Menschenseele weit und breit. Julia wollte sich gerade wieder dem Kater zuwenden, als am Ende der Gasse eine Gestalt aus einem eher unscheinbaren Haus trat.
Es wäre ihr nicht aufgefallen, wenn sich nicht der Kater erhoben und einen Buckel gemacht hätte.
»Kennst du etwa den Mann da vor uns? Hast du schon schlechte Erfahrungen mit ihm gemacht?«, wollte Julia wissen. Die Gestalt kam ihr nämlich selbst bekannt vor.
»Allerdings«, knurrte es in ihrer unmittelbaren Nähe.
Mit einem Satz war Julia auf den Beinen. »Wer hat da gesprochen?«
»Ich heiße Jan!«, sagte Jan.
»Geht doch«, antwortete der Mann und stöhnte. »Jakub!« Er versuchte, sich aufzurichten, doch die Kette hinderte ihn daran. Sie zog ihn regelrecht wieder zu Boden.
Jan horchte auf. Er kannte einen Jakub. Aber das war kaum möglich. Oder etwa doch?
»Jetzt steh nicht rum, Junge, sondern hilf mir. Ich liege schon einen ganzen Tag so da und kann wegen der schweren Kette nicht richtig sitzen.«
Jan tastete sich langsam vorwärts. Er hob die Kette an, die tatsächlich schwer war.
»Sie hat sich an der Tür verhakt«, stellte er fest. Er kroch bis zu einem Metalldorn, an dem eines der Kettenglieder hing, löste es und befreite so den Mann. Als der endlich saß, konnte Jan ihn besser in Augenschein nehmen.
»Kennen wir uns?«, fragte Jan und starrte dem Mann ins Gesicht.
»Natürlich kennen wir uns«, sagte der Mann. »Das ist mein Problem. Wäre ich dir nicht begegnet, wäre mein Bruder jetzt nicht todkrank und ich würde in einem Gasthaus sitzen und ein kühles Bier trinken.«
Jan musste schlucken. Dieser Jakub hatte nicht unrecht. Langsam fragte er sich selbst, ob die Ehre, bei Messer Arcimboldo zu arbeiten, wirklich das beste Los gewesen war, das ihn hatte treffen können.
»Wie … kommt Ihr hierher?« Langsam gewöhnten sich Jans Augen an die fortwährende Dämmerung in diesem Verlies. Auch seine Nase schien unempfindlicher zu werden, und sein Magen versuchte
Weitere Kostenlose Bücher