Haus der Sonne
verlor wohl langsam meinen verdammten Verstand...
Ich lehnte mich zurück und starrte auf den Telekomschirm. Das Videobild war erloschen, aber die Datenanzeige leuchtete immer noch. Den Daten auf dem Schirm zufolge hatte ich ein Ticket für den Global-Airways-Suborbitalflug von Casper zum wunderschönen Honolulu, und zwar von jetzt an gerechnet in zwölf Stunden. Es war ein Konzern-Blankoticket ohne Namen, dafür aber mit so vielen Unbedenklichkeitsvermerken darauf, daß Ticketkontrolleure, Zollbeamte und ähnliche Personen meiner vorgeblichen Identität nicht allzu tief auf den Grund gehen würden. Dem Datenwust zufolge, den ich auf meinen Kredstab kopieren konnte, wann immer mir danach war, würde ich unter der Schirmherrschaft eines Ladens namens Nebula Enterprises reisen, bei dem es sich zweifellos um eine unbedeutende Tochter Yama-tetsus handelte... oder bei näherer Betrachtung vielleicht auch nicht, wenn Barnard so versessen darauf war, daß sich diese ganze Geschichte nicht zu ihm zurückverfolgen ließ. Vielleicht war Nebula ein unabhängiges Unternehmen, das Yamatetsu im allgemeinen oder Barnard im besonderen etwas schuldig war, oder vielleicht hatte Chummer Jacques den Laden ja auch unter seiner Konzernfuchtel.
Abgesehen von dem Ticket verriet mir die Anzeige, daß sich mein Kontostand bei der Sioux Interface Bank soeben mehr als verfünffacht hatte, da eine Einzahlung von 22 K Nuyen ›Notreserve‹ erfolgt war.
Schließlich gab es noch - ebenfalls zum Kopieren auf meinen Kredstab vorgesehen - ein elektronisches Paßwort - diese Bezeichnung trifft es vielleicht am besten. Die Botschaft, die ich Barnards ›Kollege‹ in Hawai'i überbringen sollte, war keine, die ich mir merken und dann herunterleiern konnte - natürlich nicht, denn das hätte bedeutet, daß ich gewußt hätte, wie die Botschaft lautete. Statt dessen würde ich sie auf einem Chip erhalten - zweifellos verschlüsselt und mit genug Ice versehen, um einen anständigen See aus Synth-Scotch zu kühlen -, wenn ich auf dem internationalen Flughafen von Casper eintraf. Mit dem elektronischen Paßwort würde ich mich vor dem Überbringer identifizieren.
Ich starrte auf die Datenanzeige des Schirms und machte mir Sorgen. Nicht deshalb, weil mein behagliches kleines Leben umgekrempelt und wie ein Mülleimer ausgeleert wurde - nun zumindest nicht nur deshalb. Nein, was mir am meisten Kopfzerbrechen bereitete, waren meine eigenen Reaktionen. Noch vor ein paar Stunden hatte ich gedacht, ich hätte nicht mehr die Instinkte, um in den Schatten überleben zu können (falls ich sie überhaupt je hatte...), und nun hatte ich den Beweis.
Den Beweis? Jawoll.
Ich stellte fest, daß ich Jacques Barnard vertrauen wollte, glauben wollte, daß er mir die reine Wahrheit über den Ausflug nach Hawai'i erzählt hatte. Und darüber, daß er mich nicht als dem Konzern verpflichtet betrachtete. Daß er mich für den Botengang ausgewählt hatte, weil er mich respektierte und - vielleicht - sogar mochte. Schlimmer, ich stellte fest, daß ich ihn auch mögen wollte.
Ihm vertrauen? Ihn mögen? Komm verdammt noch mal zu dir. Barnard war der Johnson aller Johnsons -das hatte ich vor vier Jahren am eigenen Leib erfahren, oder nicht? Wenn ich glaubte, er würde - oder könnte - einem nützlichen Werkzeug wie mir aufrichtige menschliche Gefühle entgegenbringen, war ich bestenfalls naiv und schlimmstenfalls schizophren. Und die Tatsache, daß ich den Drang verspürte, diese nicht vorhandenen Gefühle zu erwidern... nun ja, vielleicht war es an der Zeit, den alten Trenchcoat samt Flachmann in den Schrank zu hängen und mir einen netten, sicheren Job als Glückwunschkartenverkäufer oder ähnlichen Drek zu besorgen.
Mit einem wütenden Knurren schob ich meinen Kred-stab in den Schlitz des Telekoms und drückte auf Herabladen. Während das System die Daten kopierte -Ticket, Operationskapital und Paßwort -, zwang ich mich dazu, die Situation kalt und logisch zu durchdenken.
Okay, wie höflich und freundlich die Worte auch sein mochten, in die Barnard seine ›Bitte‹ kleidete, Tatsache war, daß mir kaum eine andere Wahl geblieben war, als mitzuspielen. Schulden sind Schulden, und Megakonzerne gehen noch härter gegen Zahlungsunwillige oder -unfähige vor als Kredithaie. Ich würde nach Hawai'i fliegen, und zwar mit einer Botschaft, die ich nicht lesen konnte, für eine Person, die ich nicht kannte, unter Bedingungen, die nicht meiner Kontrolle unterlagen. Hatte ich
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